Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
drei Wochen hier wohnen lassen. Wer weiß, vielleicht beruhigt sich ihre Familie ja doch wieder und nimmt sie in Gnaden auf. Oder es ergibt sich eine andere Perspektive.«
»Robin hat recht. Wir sollten nicht überstürzt handeln. Warum sollte sie nicht ein paar Tage hierbleiben? Wir haben Platz im Gästehaus, sie kann sich nützlich machen, damit sie kein schlechtes Gewissen haben muß, ich zahle ihr ein kleines Gehalt, damit niemand behaupten kann, wir würden sie ausbeuten. Darüberhinaus sollten wir einige – sagen wir – Regeln aufstellen.« Hannes legte eine Pause ein, ehe er fortfuhr: »Man muß ihr klar machen, daß sie mit niemandem telefonieren darf. Sie verläßt das Gut nicht, und für uns gilt: zu niemandem ein Wort. Kapiert, Barbara?«
»Wieso ich?«
»Nur so.«
»Pah!«
»Und Arne?« fragte Robin.
»Kein Wort zu niemandem«, wiederholte Hannes.
»Ich möchte euch sehen, wenn erst ein Haufen durchgeknallter Türken hier anrückt«, sagte Klara.
»Dann kannst du ja deine Hunde loslassen«, antwortete Barbara.
»Sonst noch was?«
Sie sprang auf, stieß dabei gegen den Tisch, verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Für Sekunden herrschte Schweigen.
»Ist sie eifersüchtig?« fragte Hannes.
»Launen«, schnaubte Robin.
»Sie wird doch immer zickig, wenn sie mal nicht im Mittelpunkt steht«, stichelte Barbara.
Nasrin hörte, wie ein Stuhl über den Boden schrammte. Anscheinend waren kurz darauf nur noch Hannes und Robin in der Küche, denn Hannes fragte: »Bist du scharf auf sie?«
»Herrgott! Du redest schon daher wie die Hirnlosen in deiner Proletensendung«, brauste Robin auf.
»War ja nur eine Frage. Deshalb mußt du nicht gleich beleidigend werden.«
»Nein, ich bin nicht scharf auf sie, ich bin auf niemanden scharf . Ich mag sie einfach, klar?« schloß Robin das Thema ab.
Stühle rückten, laute Schritte, dann wurde es still im Haus. Nasrin gab ihren Horchposten auf.
Hannes saß auf einem Schemel in der Garage und erfreute sich an der Stromlinienform seines silbergrauen 300 SL. Der Roadster mit den Flügeltüren war ein Kindheitstraum, dessen Verwirklichung ihn 200 000 Euro gekostet hatte, was fast ein Schnäppchenpreis war. Hannes hatte die Ausgabe noch keine Sekunde bereut. Außerdem stieg so ein Wagen mit der Zeit im Wert, denn es waren nur 1400 Stück davon gebaut worden. Vor kurzem hatte er auch noch einen Porsche 356B 1600 erworben, aber wesentlich günstiger.
Er hätte Automechaniker werden sollen, dachte Hannes. Eine anständige Arbeit, die zu einem sofortigen Ergebnis führte und niemandem schadete. Oder Bauer. Ein Leben im Rhythmus der Natur, viel frische Luft und abends eine ehrliche Müdigkeit in den Knochen. Alles andere verbog auf die Dauer nur die Psyche.
Die Macher der Bild hatten inzwischen genau das getan, was die Pichelstein befürchtet hatte. Sie hatten nicht nur den Vorzeigeausländer gefunden, sondern sie präsentierten ihrer Leserschaft ein richtiges »Opfer«. Fatih B., einen siebzehnjährigen Albaner. Er hatte sich nach der Schule mit einem Deutschen geprügelt, ein Messer gezogen und damit seinen Widersacher an der Schulter verletzt. Fatih B. behauptete, von dem ein Jahr älteren Deutschen tyrannisiert worden zu sein. Angeblich habe der regelmäßig Geld von ihm verlangt, damit ihm und seiner jüngeren Schwester »nichts passiere«. Der Deutsche war größer und kräftiger als der Albaner. Aber er hatte vier Zeugen benannt, die allesamt versichert hatten, daß es umgekehrt gewesen war. Auf eine Vereidigung der Zeugen hatte der Vorsitzende Richter Johannes Frenzen seinerzeit verzichtet und den Albaner zu sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Seine Schwester, die waidwund von der Titelseite blickte, wurde zitiert: Fatih hatte die mittlere Reife bestanden und schon einen Ausbildungsplatz in Aussicht. Nach dem Knast fand er sich nicht mehr zurecht. Niemand wollte einem Ex-Knacki Arbeit geben. Da hat er einen Laden überfallen und wurde erwischt. Ein anderer Richter schickte ihn erneut ins Gefängnis. Er ertrug es nicht und erhängte sich nach zwei Monaten am Heizungsrohr. Richter Frenzen hat ihm seine Zukunft genommen, daraufhin nahm sich mein Bruder das Leben.
Die Welt am Sonntag hatte das Thema prompt aufgegriffen, konnte aber nicht viel Neues hinzufügen, da die Albanerin offenbar einen Exklusivvertrag mit Bild hatte. Dafür meldete sich die Journalistin Mia Karpounis noch einmal zu Wort, mit einem allgemein gehaltenen Artikel
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