Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
er in einem solchen Moment nicht diese affige Pafferei sein lassen?
» … die Frage ist, was sagen wir ihr wegen Nasrin?«
Eben noch in wolkenweißen Traumbildern gefangen, wurde Barbara schlagartig nüchtern. »Wieso Nasrin?«
Hannes seufzte tief. »Ich habe den Eindruck, daß ihr Hiersein bereits kein Geheimnis mehr ist. Durch diese ungeschickte Aktion mit dem Feuer hat sie Aufmerksamkeit erregt. Jedenfalls hat die Presse was mitbekommen.«
»Die Presse«, wiederholte Barbara, die die Bedeutung seiner Worte vergeblich zu überblicken versuchte. War dies der Moment, Hannes die Wahrheit über Nasrin zu sagen? Sie wußte nicht wie, der Augenblick verstrich, und sie sprach lediglich aus, was ihr ein tiefes Bedürfnis war: »Sie muß weg.«
»So sehe ich das auch«, sagte Hannes. »Ich wußte, du würdest es einsehen.«
Er tätschelte ihr Knie und küßte sie auf die Wange.
»Aber wohin?« fragte Barbara.
»Überlaß das mir.«
»Redest du mit ihr?«
»Klar«, sagte Hannes.
So einfach war das also, dachte Barbara.
»Und der Presse können wir ja dann ruhig die Wahrheit sagen«, meinte Hannes.
»Welche Wahrheit?«
»Naja, daß wir hier eine verfolgte Türkin versteckt hatten. Das ist ja keine Schande, oder? Die Medien schaffen sich ohnehin ihre eigene Wahrheit, also gibt man ihnen besser etwas an die Hand, ehe sie sich was Abstruses ausdenken.«
»Nach dem Motto: Tue Gutes und sprich davon.«
Hannes warf ihr einen verwunderten Blick zu. Sarkasmen dieser Art kannte er von Klara, aber nicht von Barbara, seinem Lebkuchenherz.
Barbara trank von dem Rotwein. »Das war alles, was du mich fragen wolltest?«
»Ja. Wieso?«
»Schon gut.« Sie wischte seine Hand von ihrem Knie und stand auf. Er sollte sie nicht weinen sehen.
Aber er bemerkte es doch. Seltsam, dachte er, daß ihr dieses Mädchen so sehr ans Herz gewachsen ist.
In dieser Nacht schliefen sie alle schlecht oder gar nicht. Klara arbeitete zunächst lustlos an ihrer Paratuberkulose-Datenbank, später sah sie sich eine alte Folge von Der Bulle von Tölz an, danach zappte sie hin und her, ohne daß irgend etwas zu ihr durchdrang.
Barbara lag mit offenen Augen im Dunkeln und grübelte über Nasrin. Auf der anderen Seite des geräumigen Betts wälzte sich Hannes unruhig herum.
Robin stand unter Hormonschock. Er hatte die alte Matratze in den Keller gebracht und das neue Bett, das er am vorigen Abend zusammengeschraubt hatte, mit der frisch gewaschenen schwedischen Bettwäsche bezogen. Zuletzt hatte er im Wohnzimmer die Zeitungen vom Boden aufgelesen. Jetzt tigerte er in seiner angenehm leeren Wohnung herum und wußte nicht wohin mit seiner überschüssigen Energie. Er spachtelte Farbkleckse von den Fußleisten, wischte den Boden und hörte dazu seine alten CDs. Dann legte er sich in voller Montur aufs Bett, aber davon wurde er nur noch wacher, also ging er wieder ins Wohnzimmer. Er machte kein Licht, sondern schaute aus dem Fenster, hinüber zum Gästehäuschen. Dort brannte eine schwache Funzel, wahrscheinlich die Leselampe auf dem Nachttisch. Er konnte einen kleinen Abschnitt des Raumes vor dem größeren Fenster sehen, dessen Gardine nicht richtig schloß. Würde Nasrin ans Fenster kommen, könnte er sie sehen. Er versuchte es mit Telepathie. Mehr wollte er gar nicht für heute, nur, daß sie einmal ans Fenster kam und zu ihm hinaufsah. Die Nacht war mondlos, auch kein Stern war zu sehen. Vom Zwinger her ertönte ein mehrstimmiges, heiseres Geräusch, das sich wie ein überlautes Keuchen und Husten anhörte. »Wölfe bellen so gut wie nie«, hatte ihm Klara erklärt. »Mit Gebell würden sie sich in der Natur nur verraten. Sie arbeiten mit Mimik, ein Wolfsgesicht kennt sechzig verschiedene Ausdrucksformen. Um akustisch zu kommunizieren, heulen sie.«
Wahrscheinlich hatten sie eine fremde Katze gesehen oder einen Fuchs und kommunizierten nun darüber. Oder sie hatten etwas gehört, das sie beunruhigte. Sie waren nervös und leicht zu beunruhigen, je älter sie wurden, desto mehr. Anfangs hatte Robin ab und zu mit den Welpen gespielt, aber seit der halbwüchsige Drago einmal nach ihm geschnappt hatte – und zwar nicht nach Hand oder Fuß, sondern nach seiner Kehle –, hielt er Abstand. Es waren immer noch Raubtiere, auch wenn sie den Umgang mit Menschen einigermaßen gewohnt waren. Höchste Zeit, dachte Robin, daß Klara endlich ihren verrückten Plan verwirklichte, ehe noch jemand auf die Heulerei aufmerksam wurde. Am Ende brachte sie damit
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