Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Sohn denn zur Kripo?«
»Ja, natürlich, die jungen Leute wollen alle zur Kripo. Schauen zu viel Fernsehen.«
An dieser Stelle schlug das Gespräch um, und es wurde über die persönlichen Fernsehgewohnheiten diskutiert. Außerdem wurde Barbara ermahnt, sich gerade hinzusetzen.
»Soll die Haube weiter nach unten?« fragte Frau Dilmac.
»Nein, nein, ist schon gut«, versicherte Barbara mit roten Wangen, was unter dem Höllending aber nicht auffiel. Der Bruder wollte zur Polizei? Wie paßte das ins Bild?
Die ältere Dame bezahlte und ging. Frau Dilmac wusch Barbara die Haare und massierte ihr den Kopf. Barbara entspannte sich ein wenig.
»Soll eine Kurpackung drauf?«
»Wie Sie meinen.«
Also Kurpackung. Sie waren allein im Salon. Sie verständigten sich über den Schnitt, und die Friseurin machte sich schweigend ans Werk. Offenbar hatte sie mit der anderen Kundin so viel geschnattert, daß es jetzt reichte.
»Wo ist denn die Chefin heute?« nahm Barbara vorsichtig Kontakt auf.
»Die Chefin?« Frau Dilmac lachte. »Ich bin die Chefin. Schon seit einem halben Jahr.«
»Oh! Das … das wußte ich gar nicht. Dann gratuliere ich aber.«
»Danke.« Frau Dilmac lächelte stolz.
»Wie geht es denn Ihrer Tochter? Sie hat damals oft den Kleinen abgeholt, wenn ich mich recht entsinne.« Jetzt war es heraus. Hoffentlich hatte die Frage einigermaßen normal geklungen.
Frau Dilmac seufzte. »Ach, die. Die macht mir im Augenblick ein wenig Sorgen.«
Ein wenig? Was mußte passieren, daß sich diese Frau ernsthaft sorgte?
»Was ist denn mit ihr?«
In diesem Moment ging die Tür auf, und eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm betrat den Laden. Es entspann sich eine lebhafte Unterhaltung auf türkisch, an deren Ende Frau Dilmac plötzlich wieder deutsch redete: »Gerade haben wir von dir gesprochen. Erinnerst du dich an Frau Klein aus dem Kindergarten?«
Die junge Frau nahm ihre Sonnenbrille ab und sah Barbara im Spiegel an. Barbara starrte die Frau an.
»Ja, ich glaube«, sagte Nasrin zögernd.
»Hallo«, hauchte Barbara. Ihr war, als hätte sie gerade eine übersinnliche Erscheinung. Ihre Augen saugten sich an dem Gesicht der jungen Türkin fest. Eine gewisse Ähnlichkeit war zweifellos erkennbar. Der Mund, die Stirn. Aber die Nase dieser Frau war viel kräftiger, ebenso die Augenbrauen. Genau wie früher hatte sie ihre Augen schwarz umrandet, die Wimpern dick getuscht. Ihr Haar trug sie zu einem Knoten geschlungen, ein Steinchen glänzte an ihrem Nasenflügel. Sie trug knielange Hosen im Militärlook, die ein Stück Bauch sehen ließen. Sie schien schwanger zu sein.
Ihr Interesse an der ehemaligen Erzieherin ihres kleinen Bruders war naturgemäß gering. Sie entzog sich Barbaras Sezierblick und begann erneut einen Disput mit ihrer Mutter, der damit endete, daß das kleine Mädchen vor die Ladentheke gesetzt wurde und ein paar Lockenwickler zum Spielen in die Hand bekam, während die junge Mutter sich eilig davonmachte.
Barbara war, als hätte sie ein Gespenst gesehen.
»Ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie ein Wasser, oder einen Kaffee?«
»Ein Wasser«, sagte Barbara. »Es ist … der Geruch der Farbe, ich vertrage das nicht.«
Frau Dilmac brachte ein Glas Wasser. Beim Fönen fand sie zu ihrer Gesprächigkeit zurück: »Ich wollte immer, daß das Mädchen Abitur macht und studiert. Sie war so gut in der Schule. Die steckt uns noch alle in die Tasche, habe ich immer zu meinem Mann gesagt. Aber dann hat sie sich verliebt, geheiratet, und im Herbst kommt schon das zweite Kind, dabei ist sie mit dem ersten schon – wie sagt man – übergefordert.«
»Überfordert«, verbesserte Barbara mechanisch.
»Genau. Sie und ihr Mann betreiben den Blumenladen da vorne, Sie müssen ihn sich nachher ansehen, ist sehr schön, der Laden. So, das wär’s. Haarspray?« Barbara nickte und wurde von Frau Dilmac eingenebelt.
»Wer bist du?«
Das Mädchen wurde von dieser Frage beim Staubwischen im Bücherregal überrascht. Sie nutzte den Reinigungsvorgang, um statt der alphabetischen Sortierung eine Anordnung nach Farben auszuprobieren. Sie gab keine Antwort, sah Barbara nur prüfend an. Barbara knallte ihre Handtasche auf die Spüle. »Ich habe heute die richtige Nasrin getroffen.«
»Ah, ja«, sagte das Mädchen und fuhr fort, Bücher umzuschichten. »Wie geht’s ihr?«
»Wer bist du, und was willst du hier?« fragte Barbara eisig.
»Ich wollte nur eine Weile bei euch sein. Nichts weiter. Der Name gefällt mir
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