Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
übrigens, du kannst mich weiterhin Nasrin nennen.«
»Du hast uns belogen und benutzt.«
»Benutzt? Sieh dich hier um. Es war dringend notwendig, daß hier jemand Ordnung schafft, meinst du nicht? Und du warst es doch, die mich Nasrin genannt hat. Du hast mir die Worte in den Mund gelegt, und ihr alle habt mir die Sache mit der Zwangsheirat geglaubt, weil ihr mir glauben wolltet. Weil ich die lebendige Bestätigung eurer Vorurteile und Klischees war: Alle Türken sind gewalttätige Machos und alle Türkinnen unterdrückte Geschöpfe.«
»Ich werde es Hannes erzählen.« Barbara stand noch immer am Küchentresen und redete über die Distanz von ein paar Metern.
»Eine gute Idee. Der wird dich loben. ›Macht nichts, Barbara‹, wird er sagen. ›So eine kleine Verwechslung, das kann doch jedem mal passieren‹.«
»Wer bist du?« wiederholte Barbara, aber ihre Stimme klang dünn.
Bis jetzt war das Mädchen vor dem Bücherregal stehen geblieben. Nun kam sie in wohldosierten Einheiten näher.
»Ja, wer bin ich wohl?«
Sie tat zwei Schritte auf Barbara zu.
»Eine Diebin? Eine Mörderin? Eine illegale Asylantin? Eine gesuchte Terroristin?«
Mit jedem Wort kam sie ein wenig näher, bis sie auf der anderen Seite des Küchentresens stand.
Ihr Gesicht hatte einen harten Zug bekommen, der neu an ihr war. Barbara klammerte sich an die Arbeitsplatte, als wäre das ihr letzter Halt. Sie bekam Angst. Schon wieder hatte sie einen Fehler gemacht. Warum hatte sie nicht erst mit Hannes gesprochen?
Die Fremde blieb stehen. Ihr Lächeln war kalt, als sie sagte: » Fernsehrichter versteckt Kriminelle auf seinem Landgut . Das dürfte das Ende der Karriereleiter sein.«
Barbara sah sie mit wachsendem Schrecken an.
»Es ist besser, du schweigst, Barbara. Ich weiß inzwischen schon zu viel über euch. Ich werde bald wieder weg sein, und alles wird so sein wie es war. Oder auch nicht. Es liegt an dir.«
Nasrin warf den Lappen in die Spüle, eine Bewegung, die Barbara zusammenzucken ließ, als sei sie geschlagen worden. Dann ging die Fremde an ihr vorbei. Sie hörte die Tür zufallen. Schluchzend warf sich Barbara auf das Sofa. Sie hatte alles vermasselt.
Am Mittwoch abend saß Klara am Schreibtisch und schaute gedankenverloren auf die Daten über die Verteilung der Paratuberkulose bei Argentinischen Rindern, bis sich der Bildschirmschoner darüberschob. Sie wandte sich ab. Ihr Blick verharrte auf dem Rentierfell an der Wand. Es hatte jahrelang über dem Sofa ihres Vaters gelegen, er hatte es ihr geschenkt, als sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Sie nahm es von der Wand und kuschelte sich damit in ihren einzigen Sessel. Von oben hörte sie Schritte und das Rücken eines Möbels, vermutlich war es die Leiter. Ab und zu erklangen auch Stimmen. Sie lachten. Offenbar hatte er sich mit Nasrin ausgesöhnt. Ihre Hilfe hatte er nicht ausgeschlagen. Durch das Fenster drang Musik. Das ging schon den ganzen Tag so. Ausgerechnet Buena Vista Social Club mußte er auflegen. Feingefühl war noch nie Robins Sache gewesen.
Sie war dem Mädchen nicht böse. Sie hätte keine Chance gehabt, sich zwischen sie selbst und Robin zu drängen, wenn da nicht schon eine riesige Lücke geklafft hätte. Außerdem bezweifelte Klara, daß Nasrin an Robin als Mann interessiert war. Und er? Was wußte Klara schon über seine Gefühle? Eigentlich kannte sie ihn kaum.
In das Rentierfell gewickelt, ging sie in ihr Schlafzimmer. Sie stand am Fenster und beobachete Drago, Shiva und Ruska im Zwinger. Merlin war bei ihr, er lag unter dem Schreibtisch und schlief. Klara wollte sie am liebsten alle um sich haben, aber gerade jetzt war es notwendig, Abstand zu halten. Die drei dösten im letzten Licht des Tages. Wie wunderschön sie waren. Die schrägen Augen, die dunklen Nasen, die Zeichnung ihres Fells. Über ihr polterte etwas. Die Musik hatte aufgehört, oder sie hörte sie in diesem Zimmer nicht mehr. Sie wischte sich mit der Hand über die Nase. So ganz genau wußte sie nicht, warum sie weinte.
Nasrin stand auf der Leiter und fuhr mit dem Pinsel in die Ecken und Kanten, die Robin mit der Rolle nicht erreicht hatte. Sie trug ein altes Hemd mit langen Ärmeln, eine Baseballkappe von Robin und seine lange Sporthose. Ihr Gesicht war weiß gesprenkelt.
»Es reicht. Komm jetzt runter.«
Nasrin stieg von der Leiter, während Robin zwei volle Gläser Sekt aus der Küche hereinbrachte. Sie setzten sich auf die Zeitungen, mit denen Robin den Fußboden
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