Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Leiche? Mit seiner Digitalkamera? Allein die Idee! Nein, es war sicher nur eine Finte.
»Zeig mir die Bilder«, forderte er.
Sie ging zur Treppe, betrat sein Arbeitszimmer und startete den Computer. Barbara besaß keinen eigenen PC, sie hatte auf seinem ein Verzeichnis für ihre wenigen Briefe und Bewerbungsunterlagen. Beunruhigt sah Hannes, daß sich unter dem nicht sehr subtilen Sammelbegriff »Leiche« drei Bilddateien befanden. Barbara klickte sie der Reihe nach an. Die Bilder zeigten den Toten am Boden des Kellers aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei stets auch ein Teil des Raumes zu sehen war.
»Und die Mail? Wo ist die?«
»Die liegt auf einem Hotmail-Server. Denkst du, ich bin so blöd und rufe sie jetzt auf?« durchschaute sie ihn.
Hannes waren tatsächlich ein paar Gewaltphantasien durch den Kopf gegangen, aber dann ließ er sich erschöpft auf das kleine Sofa am Fenster plumpsen.
»Du hast gewonnen«, sagte er. »Meine Hochachtung vor so viel Kaltblütigkeit. Du wirst es noch weit bringen.«
»Und im übrigen wäre ich dir dankbar, wenn ich für’s erste deine Hamburger Wohnung haben könnte«, sagte Barbara.
»Was willst du in Hamburg? In Hamburg ist außer Prado-Film nicht viel los. Wenn du zu einem Privatsender willst, mußt du schon nach Köln oder München ziehen.«
»Ich ziehe überall hin, wenn es sein muß. Ich möchte nur so schnell wie möglich weg hier. Ich habe genug vom Landleben.«
»Und wo soll ich dann wohnen, wenn ich drehe?« fragte Hannes perplex.
»Irgendeine willige Praktikantin wird sich schon finden, die dich mit offenen Beinen empfängt«, sagte Barbara und ging hinaus. Hannes saß fassungslos da und starrte auf seinen Computer. Der Bildschirmschoner hatte sich gnädig über die Leichenfotos gelegt. Wenigstens die würde er gleich löschen.
Es regnete und windete stark. Klara saß unter einer ausladenden Fichte auf einem umgestürzten Baumstamm und aß den ersten Bissen des Tages, als sie das Vibrieren des Telefons in ihrer Jacke spürte. Es mußte Hannes sein. Mit Trenz hatte sie vor einer Stunde gesprochen.
»Merlin ist abgehauen.« Hannes schilderte die Umstände.
»Du kannst nichts dafür«, beruhigte ihn Klara. »Er wird zurückkommen, oder eben nicht.«
»Ist Merlin eigentlich auch gechipt?«
»Alle Welpen haben einen Chip eingesetzt bekommen. Er sitzt unter dem Fell im Nacken.«
»Wenn du mir sagst, wie ich das System zu bedienen habe, könnte ich ihn suchen.«
Klara überlegte. »Ja, das kannst du machen. Aber warte bis morgen früh. Ich denke, daß er von selbst nach Hause kommen wird.« Sie erklärte ihm, wie er das Suchsystem aufrufen konnte. »Merlin hat die Codenummer 156.«
Hannes war froh, daß Klara ruhig blieb und ihm keine Vorwürfe machte.
»Was machen die anderen?«
»Sie ziehen ihre Kreise. Sie bekommen langsam Hunger und sind scharf auf meine Müsliriegel. Trenz meint, ich soll weiterwandern.«
Klara verlor die Tiere zwar gelegentlich aus den Augen, aber um zu verhindern, daß sie ihrem Wagen folgten, mußte sie eine größere Distanz zwischen sich und die Wölfe legen.
»Woher kennt Trenz eigentlich deinen Standort? Bist du auch gechipt?«
»Nein, so weit sind wir noch nicht«, antwortete Klara. »Ich habe ein Navigationsystem dabei und trage außerdem einen Sender bei mir. Gibt es sonst etwas Neues? Du klingst so bedrückt.«
»Ich mache mir Vorwürfe wegen Merlin. Und ich habe Robin gesagt, daß du den Mann kanntest. Es tut mir leid, daß ich es nicht mir dir abgesprochen habe, aber ich hielt es für sicherer, wenn er gewarnt ist.«
»Schon in Ordnung.«
»Und du, wie fühlst du dich?« wollte Hannes wissen.
»Heute morgen, als sie aus dem Auto kamen, sich neben mich setzten und mich so erwartungsvoll angesehen haben, da habe ich kurz das heulende Elend gekriegt«, gestand Klara. »Aber jetzt geht es. Die Einsamkeit tut mir gut. Sie rückt alles in ein anderes Licht. Vielleicht werde ich doch den Sommer in Finnland verbringen, irgendwo an einem See.«
Offenbar verloren einige Dinge in der Waldeinsamkeit an Bedeutung, dachte Hannes. Sie fragte nicht einmal, wie Robin die Nachricht von seinem Nebenbuhler aufgenommen hatte.
»In der Süddeutschen steht, jemand will in den Allgäuer Alpen einen Wolf gesehen haben.«
»Ja, es geht los«, sagte Klara, und ihre Stimme klang auf einmal so aufgeregt wie die eines Kindes. Hannes lächelte über ihre Begeisterung und versprach, sich zu melden, wenn er etwas über Merlin wußte.
Er
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