Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
Einfahrt war eingehakt und mit einem Schloss gesichert. Außerdem sah ich einen uniformierten Wachmann, der langsam auf und ab schlenderte. Selbst bei dem schwachen Licht konnte ich das Pistolenhalfter an seiner Hüfte ausmachen. Als er mich sah, beschleunigte er seinen Schritt. Ich gab Gas und fuhr davon, bevor er mein Gesicht erkennen konnte.
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Es galt, ein paar offene Fragen zu klären.
Am nächsten Morgen rief ich im psychologischen Institut an und ließ mir die Telefonnummer von Mary Ann Gonsalvez geben. Auf Grund des Zeitunterschieds war es in London schon fünf Uhr nachmittags. Es meldete sich niemand.
Ich machte mir Kaffee und Toast, frühstückte lustlos und dachte dabei über den nächtlichen Betrieb im Frauengesundheitszentrum nach.
Der bewaffneteWachmann, die Kette, die die Zufahrt versperrte.
Dr. Cruvic operierte.
Patientinnen wie Chenise Farney?
Fünfzehn Wagen. Selbst wenn man die seiner Mitarbeiter abzog, ließ das auf mindestens zehn Operationen schließen. Und vermutlich war er schon seit Stunden da, so dass er praktisch wie am Fließband arbeitete.
Idealismus oder Profitgier?
Es musste eine Menge Geld für ihn dabei herausspringen, wenn er die Einrichtungen des Gesundheitszentrums kostenlos nutzte und dem Staat die Behandlungskosten in Rechnung stellte. Das Zentrum war schließlich froh, einen Freiwilligen zu haben, der die mittellosen Patientinnen medizinisch versorgte.
Arme Frauen, das musste bedeuten, hier gewährten staatlich geförderte Gesundheitsprogramme finanzielle Unterstützung. Die Finanzierung von Abtreibungen war schon immer starken politischen Schwankungen unterworfen, und ich hatte keine Ahnung, ob die staatlichen Beihilfeprogramme dergleichen bezahlten.
Ich rief - unter deutlicher Betonung meines Doktortitels -
in der Frauenklinik der Universität an und ließ mich mit der Verwaltung verbinden. Dort verwies man mich an die Buchhaltung, wo ich wiederum mit dem zuständigen Sachbearbeiter verbunden wurde, der für die Rechnungsstellung an die Beihilfestelle zuständig war. In einem Tonfall, der zu sagen schien, das weiß doch jedes Kind, teilte er mir mit, dass Abtreibungen tatsächlich vom Beihilfeprogramm finanziert wurden, und zwar mit neunhundert Dollar pro Eingriff, zuzüglich Krankenhauskosten, Anästhesie und anderer Nebenkosten.
Ich legte auf.
Neunhundert pro Eingriff. Und wenn man es geschickt anstellte, konnte man noch andere Leistungen berechnen, wie Personalkosten, OP-Kosten, Materialien, Anästhesie, und so die Gewinnspanne noch steigern.
Zwanzig Abtreibungen pro Woche ergaben dann ein Jahreseinkommen von fast einer Million.
Ein hübscher kleiner Nebenverdienst.
Den Reichen wurden Föten eingepflanzt, den Armen wurden sie entfernt.
Natürlich gab es Risiken, wie zum Beispiel die Möglichkeit gewalttätiger Attacken von Seiten fanatischer Abtreibungsgegner. Und wenn die Zeitungen davon Wind bekämen, wäre das für einen Arzt wie Cruvic, der sich in seiner Praxis darauf spezialisiert hatte, Frauen zu Schwangerschaften zu verhelfen, die denkbar schlechteste Publicity.
Aber bei so viel Geld war Cruvic vermutlich der Ansicht, das Risiko lohne sich.
War er unersättlich gewesen und hatte Rechnungen gefälscht, Bücher frisiert?
Hatte Hope bei diesen Betrügereien mitgemacht?
Oder war sie zufällig dahintergekommen und hatte gedroht, Cruvic auffliegen zu lassen?
Und musste deshalb sterben?
Aber was war dann mit Mandy Wright? Bislang waren der Schwangerschaftsabbruch und die Sterilisation ihre einzige möglicheVerbindung zu Cruvic.
Weit hergeholt, Delaware.
Am wahrscheinlichsten war nach wie vor, sie und Hope waren von einem unbekannten Psychopathen ermordet worden, und Cruvic, ganz gleich, wie geldgierig und unmoralisch er auch sein mochte, hatte nichts damit zu tun.
Dennoch, ich hatte Milo versprochen, mich einmal mit Cruvics Werdegang zu beschäftigen. Außerdem hatte Deborah Brittain in den nächsten paar Stunden Vorlesungen, und die panische Tessa Bowlby hatte einen Tag frei. Eigentlich hatte sie ziemlich viel Freizeit: Sie besuchte nur dienstags und donnerstags jeweils ein Seminar.
Sie hatte ihre Stundenzahl drastisch gesenkt. Vielleicht wegen ihrer psychischen Probleme?
Ich würde es noch mal bei ihr versuchen, aber alles der Reihe nach.
Ich rief die Ärztekammer an und erfuhr dort, gegen Dr. med. Milan Cruvic lägen keinerlei Beschwerden vor, und seine Zulassung sei keinesfalls gefährdet.
Ich zog mich an und fuhr zur
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