Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
in die Welt helfen würde, anstatt es zu beenden, so, wie sein Vater es getan hat.«
»Hat Big Micky mal jemanden umgebracht?«
»Das wäre durchaus möglich, aber eigentlich habe ich gemeint, dass er die jungen Frauen psychisch kaputtgemacht hat. Er hat sie einfach benutzt und verbraucht.«
Sie presste die Hände zusammen. »Und die Art, wie er mit Tieren umgegangen ist. Daran erkennt man die Menschen. Sein Schlachthof war ein riesiges graues Gebäude mit Schienen, die hinein- und wieder herausführten. Auf der einen Seite wurde das verängstigte, brüllende Vieh hineingefahren, dicht in Waggons zusammengepfercht, und auf der anderen Seite kamen die blutigen Fleischhälften an Haken hängend wieder heraus. Das habe ich selbst gesehen.«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als versuchte sie, einen schlechten Geschmack loszuwerden. »Big Micky ging manchmal höchstpersönlich da rein, in Gummischürze und Stiefeln und mit einem mit Stacheln besetzten Baseballschläger. Dann mussten die Arbeiter das Fließband anhalten und ihm ein paar Ochsen und Schweine hochhieven. An denen hat er sich dann vergnügt, solange er Lust hatte.«
27
Sie schlurfte erneut zur Küche und sah nach Shih-Tzu. »Hope und der kleine Micky, nach so langer Zeit.«
Die Besten ihres Jahrgangs.
»Hope hat auch als Beraterin für einen Anwalt namens Robert Barone gearbeitet.«
»Nie gehört.«
»Und wie steht es mit Casey Locking?«
Kopfschütteln.
»Amanda oder Mandy Wright?«
»Nein.Was sind das für Leute?«
»Menschen, die Hope kannte.«
»So berühmt, wie sie war, wird sie wohl eine Menge Leute gekannt haben.«
Ich fragte: »Hat Hope bei ihrem Besuch noch über irgendetwas anderes gesprochen?«
Sie kam zurück, setzte sich und sah mich geradewegs an.
»Sie hat mir gesagt, Lottie hätte sie gefesselt.«
Ich saß ruhig da, ganz Psychologe, aber mit Herzrasen. »Wann?«,fragte ich. »Warum?«
»Als sie noch klein war und Lottie sie manchmal länger allein lassen musste. Auch wenn Lottie Männer mit nach Hause brachte.«
»Wie hat sie sie gefesselt?«
»In ihrem Zimmer. Ans Bett. Ans Kopfende. Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass die Holzbaracke bloß zwei Zimmer hatte, nicht? Das eine war Hopes Schlafzimmer, das andere Lotties. Lottie nahm eine Hundeleine und ein Fahrradschloss und machte Hope damit am Kopfende des Bettes fest.«
»Wie lange ging das so?«
»Über Jahre. Ich wusste nichts davon, Hope hat mir nie etwas davon gesagt. Stellen Sie sich vor, dort wäre ein Feuer ausgebrochen. Als Hope es mir erzählte, war ich fassungslos, aber sie hat mich beruhigt und gesagt, sie wäre nie misshandelt worden, Lottie hätte ihr immer reichlich zu essen und zu trinken dagelassen, genug Spielzeug, Bücher, ein Radio, einen Nachttopf. Später dann einen Fernseher. Sie hat immer wieder gesagt, es wäre in Ordnung gewesen, Lottie hätte nur das getan, was sie für das Beste hielt.«
»Und warum hat sie es Ihnen dann erzählt?«
»Sie hat gesagt, sie machte sich Sorgen um Lottie. Wegen der Dinge, die Lottie getan hatte, um sie beide durchzubringen.
Wegen der Dinge, die sich Lottie immer noch von Männern gefallen ließ.«
»Brachte Lottie noch immer Männer mit nach Hause?«
»Typen, die sie im Blue Barn und anderswo aufgegabelt hatte. Stammkunden nannte Hope sie. Mittlerweile waren Lottie und sie in Bakersfield in ein nettes Haus gezogen, und sie hatten verabredet, dass Lottie so ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören«, wie es sie in Hotels gibt, an ihre Schlafzimmertür hängte, wenn sie arbeitete. Hope musste immer durch die Hintertür ins Haus kommen und erst nachsehen, ob das Schild amTürknauf hing.Wenn ja, musste sie schnurstracks in ihr Zimmer gehen und dort bleiben, bis Lottie ihr sagte, die Luft sei rein.«
»Wieder war sie eingeengt.«
Sie nickte. »Und trotzdem konnte sie manchmal hören, was vor sich ging.«
Sie wischte sich die Augen und sagte: »Ich meine, abgesehen vom Sex. Schreie. Manchmal trug Lottie Spuren davon.«
»Blutergüsse?«
»Und Abdrücke von Stricken an Hand- und Fußgelenken. Lottie hat versucht, sie mit Make-up abzudecken, aber Hope sah sie trotzdem.«
»Also hat Lottie sich fesseln lassen.«
»Können Sie sich das vorstellen? Deshalb habe ich gesagt, nicht auf Grund ihres häuslichen Umfeldes, sondern trotz.«
»Hat Hope mit ihrer Mutter darüber gesprochen?«
»Sie hat gesagt, nein, als ob die Frage völlig lächerlich wäre. ›Natürlich nicht, Mrs. Campos. Sie
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