Woelfin des Lichts
immer steckte ihr der Horror der letzten vierundzwanzig Stunden in den Knochen. Sie war sich darüber im Klaren, dass Jack wütend auf sie war und nicht eher locker lassen würde, bis sie ihm alles aus ihrer Vergangenheit erzählt hatte.
Doch außer ihm gab es noch ihren Bruder, der ebenfalls ein Recht auf eine Aussprache hatte und dem sie früher oder später gegenübertreten musste. Von Roseend aus hatte sie mehrmals in der Klinik angerufen und war froh, dass er sich auf dem Weg der Besserung befand.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stellte sie die Dusche ab, wickelte sich in ein dickes, weiches Handtuch und verließ tief in Gedanken versunken das Bad. Sara, die wusste, dass ihr Versteckspiel zu Ende war, spürte ans telle von Erleichterung Verunsicherung und Furcht. Bis jetzt hatte sie keine Ahnung, wie Jack zu alldem und vor allem zu ihr stehen würde. Dass er sie freundlich und zuvorkommend behandelte, hatte in Anbetracht der Situation, in der sie sich befanden, keine Bedeutung.
Überrascht hielt sie den Atem an. Jacks Anblick, der mit feuchten Haaren, bekleidet mit einer frischen Jeans und einem Hemd, das ihm ein wenig zu eng war und aus Marcels Kleiderschrank stammen musste, auf ihrem Bett saß, brachte sie in die Ge genwart zurück. Ihre Blicke trafen sich und hielten einander fest.
Mit leiser Stimme brach er das Schweigen zwischen ihnen: „Marc ist in der Küche und sucht nach etwas Essbarem. Ich möchte, dass du mir alles über dich erzählst und: bitte keine Ausflüchte.“
Sara nickte bedächtig. Er hatte ein Anrecht auf die ganze Wahrheit und dieses Mal würde sie ihm nichts verschweigen.
Gemeinsam saßen sie auf den Stufen der Veranda. Marc war es tatsächlich gelungen, mehrere Dosen Bohnen und etwas altbackenen Toast auf zutreiben, des Weiteren eine Flasche Rotwein, die noch ungeöffnet im Kühlschrank gestanden hatte.
Sara saß zwischen Jacks Beinen eine Stufe unter ihm und lehnte sich gegen ihn.
Wenigstens lässt er diese Berührung zu , dachte sie erleichtert. Ihre Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken ließe, machte es Sara leichter, ihr lang gehütetes Geheimnis preiszugeben.
Mit stockender Stimme begann sie zu erzählen: „Simon war am Anfang sehr nett und zuvorkommend. Er kam jeden Tag vorbei, rief mich zig Mal auf d em Handy an, doch das störte mich damals noch nicht. Obwohl Marcel offen zeigte, dass Simon ihm nicht gefiel. So manches Mal stritten wir deshalb miteinander. Als unsere Eltern bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ums Leben kamen, ein Lastwagen drängte ihr Auto von der Straße ab, sodass sie frontal gegen einen Baum prallten, bemühte sich Simon, mir eine Hilfe zu sein. Er wohnte mittlerweile teilweise bei uns im Haus, worüber mein Bruder erbost war. Im Laufe der Zeit mischte sich Simon jedoch immer mehr in unsere Angelegenheiten ein. Schon, dass er bei uns einzog, hätte ich niemals zulassen dürfen. Doch wie hätte ich ahnen können, worauf alles hinauslaufen würde?
Immerzu erzählte er mir, dass er eines Tages das hiesige Rudel übernehmen würde und mich an sei ner Seite sehen wollte. Er drängte darauf, dass ich mich seinem Rudel anschließen sollte, doch dazu war ich noch nicht bereit. Immerhin hatte nicht nur ich meine Eltern verloren, sondern auch Marcel, und ihn wollte ich nicht so kurz nach dem Verlust alleine lassen. Zudem kamen mir Zweifel, ob ich Simons Kontrollbedürfnis, das ich auf den Unfall meiner Eltern zurückführte und das inzwischen krankhafte Züge annahm, auf Dauer würde ertragen können.“
Mit einem unsicheren Seitenblick auf Jack fuhr sie fort: „Ich habe ihm niemals erzählt, genauso wenig wir dir, dass ich mich nicht nur zur Vollmondzeit verwandeln kann, sondern zu jeder beliebigen Zeit. Bei Tage allerdings nur, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle. Eines Morgens stritten wir uns heftig. Er ging mir mit seiner unablässigen Anwesenheit ziemlich auf die Nerven und ich sagte ihm zum ersten Mal während unserer Beziehung, dass er mich mit seiner Liebe erdrücken und ich meinen Freiraum brauchen würde. Offenbar hat er mich falsch verstanden. Er wurde furchtbar wütend, drängte mich in die Ecke und schrie, dass ich zu ihm gehören würde, ich dankbar sein müsste, dass er sich so um mich kümmerte. Als ich das Gespräch beenden und ohne ihn nach Hause gehen wollte, seine unkontrollierte Wut machte mir immer mehr Angst, ließ er mich nicht gehen und so verwandelte ich mich zum ersten Mal vor jemand anderem.“
Röte stieg
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