Wofuer die Worte fehlen
darüber.
Besonders schlimm wurde es, als seine Cousine Eva eingeschult wurde. Sie war so, wie Eltern und Lehrer sich die Kinder wünschen: fleiÃig, klug und aufmerksam. Schon bald konnte Eva besser lesen als Kristian, obwohl der doch zwei Jahre länger zur Schule ging als sie.
Bei jedem Familientreffen wurden Evas Zeugnisse von den stolzen Eltern herumgezeigt. Kristians waren nicht vorzeigbar.
»Er ist ein Spätentwickler«, sagte die Mutter entschuldigend.
Onkel Vladimir lachte laut: «Hauptsache, er fängt damit nicht zu spät an. Dann ist die Schule nämlich vorbei!«
Kristian sah, wie der Vater die Fäuste ballte, wieder einmalspürte er, dass er für seinen Vater eine einzige groÃe Enttäuschung war. Was würde er nicht alles tun, damit der Vater wieder stolz auf ihn sein konnte so wie früher, bevor die Schule begonnen hatte!
Und dann kam der Tag, als die Mutter zum ersten Mal in die Slowakei fahren musste, weil es der GroÃmutter nach dem Tod ihres Mannes so schlecht ging. »Sie lebt jetzt alleine auf ihrem Bauernhof, das weiÃt du doch«, versuchte die Mutter die Situation zu erklären. »Sie braucht mich.«
»Warum kann Onkel Vladimir nicht fahren?«
»Der bekommt keinen Urlaub.«
Kristians Mutter arbeitete stundenweise in der Kneipe und so war es für sie einfacher, zu fahren. Onkel Vladimir bezahlte dafür ihre Fahrkarte. Und vielleicht war sie auch ganz froh, dem Streit in der Familie für einige Zeit entkommen zu können.
Wie gerne wäre Kristian mitgefahren. Er war acht Jahre alt, ging in die zweite Klasse und hatte keine Ferien. Also blieb er zusammen mit Katarina beim Vater zurück.
»Na, nun komm schon. Es ist ja nur für zwei Wochen. Dann kommt sie zurück. Du wirst sehen, wir machen uns eine schöne Zeit, so unter Männern«, tröstete der Vater.
»Und Katarina?« Kristian graute vor den Abenden ohne die Mutter, die Streit zwischen Katarina und ihrem Stiefvater oft ausbremste, indem sie den Ãrger ihres Mannes von Katarina weg auf sich zog.
Würde er nun den ganzen Ãrger statt der Mutter abbekommen? Schon beim Gedanken daran bekam Kristian Bauchschmerzen.
»Mit der werden wir schon fertig. Zwei gegen eine«, meinte der Vater. «Es sind doch nur zwei Wochen!«
Nur zwei Wochen! Aber sie reichten aus, um sein Lebenin zwei Teile zu zerbrechen: in ein Leben mit der Mutter und eines ohne die Mutter.
Der erste Abend ohne sie lief erstaunlich gut. Katarina, die inzwischen achtzehn Jahre alt war, ging mit ihrem Freund ins Kino, der Vater machte Nudeln mit roter SoÃe und erlaubte Kristian sogar ein Glas Cola zu trinken, was die Mutter nie zugelassen hätte.
»Du bist schon unruhig genug!«, pflegte sie zu sagen. »Ein Tropfen Koffein und du flippst ganz aus.«
Dabei trank Kristian für sein Leben gern Cola.
»Wir müssen es der Mutter ja nicht sagen!«, meinte der Vater. »Frauen müssen nicht alles wissen.«
Dieser Satz gefiel Kristian. Und so saà er mit seinem Vater am Esstisch in der Küche, schlürfte seine Cola und war für einen Moment ganz froh, dass die Mutter nicht da war.
Erst abends, als er im Bett lag, vermisste er sie plötzlich und die nächsten zwei Wochen lagen wie ein groÃer Berg vor ihm. Der Vater, der im Wohnzimmer vor dem Fernseher saÃ, hatte zum Glück Verständnis. Er erlaubte Kristian, dass er sich ins Bett der Mutter legte. Nachts kuschelte er sich an den Vater und der Vater kuschelte sich an ihn und beide fühlten sich nicht mehr so einsam.
Auch Katarina war zufrieden, dass sie das Kinderzimmer für sich alleine hatte. Ihr Freund Janusch blieb über Nacht bei ihr, was die Mutter nie erlaubt hätte. Der Vater hatte erstaunlicherweise auf einmal nichts mehr dagegen.
»Kann er nicht immer in Mutters Bett schlafen?«, fragte Katarina am nächsten Morgen beim Frühstück, das überraschend friedlich verlief.
Der Vater schaute Kristian an, der begeistert nickte.
»In Ordnung!«, sagte er.
Katarina konnte ihr Glück kaum fassen. Ãberhaupt erlaubteder Vater ihr auch in den nächsten zwei Wochen erstaunlich viel. Sie durfte jeden Abend weggehen, bei ihrem Freund übernachten oder ihn mit in ihr Zimmer nehmen. »Das muss Mutter nicht unbedingt wissen!«, sagte nun auch Katarina zu Kristian. »Sonst macht sie Ãrger!«
Als Gegenleistung für die GroÃzügigkeit des
Weitere Kostenlose Bücher