Wofuer es sich zu sterben lohnt
hoffentlich könnten sie ihn zu fassen bekommen.
Tigist hatte ihren Arm gepackt. Ihre Stimme klang dünn und jämmerlich vor Angst.
»Der Geist wird ihn niemals wieder loslassen.«
Monika machte sich keine Sorgen wegen des Geistes, ihr Problem war, dass nicht Theos Kopf an die Oberfläche kam, sondern sein Rücken.
»Tigist, hilf mir. Wir müssen ihn rausholen.«
Monika kletterte dem ersten kleinen Absatz entgegen. Sie wünschte, sie hätte ein Seil, einen Hosenträger, irgendeine Sicherung. Dann hörte sie auf zu denken. Ihre Füße such ten Halt, ihre Finger tasteten sich in Spalten, in denen sie Halt fand. Sie wusste nicht, wie lange sie für den Abstieg brauchte, nur, dass es zu lange zu dauern schien.
Sie schaute nach unten. Dort schwamm Theo, noch im mer bewegungslos, mit dem Gesicht nach unten. Sie wür de ihn niemals rechtzeitig erreichen.
Falls sie nicht tauchte. Falls sie nicht aus der Höhe auf den unbekannten grauen Wasserspiegel sprang, unter dem sich einfach alles verstecken konnte. Was hatte der Vulka nologe Lasse noch gesagt? Dass die Maare fast bodenlos tief seien. Dass die Felswände steil nach unten ragten.
Um sie herum war es totenstill. Das Wasser um Theo he rum rührte sich nicht.
Sie streifte Rock und Schuhe ab, nahm Anlauf, um so weit wie möglich im Wasser zu landen - und sprang.
Während sie dem Maar entgegenfiel, stellte sie sich Fel sen gleich unter dem Wasserspiegel vor. Felsen, die ihren Kopf durchbohren könnten, ihr das Genick brechen. Und sie glaubte, ein schönes, dunkles Gesicht zu sehen, das ihr sehnsüchtig entgegensah, und einen Männerkörper ohne Arme und Beine. Das machte ihr größere Angst als die Steine.
Aber es war zu spät zur Reue.
Und dann war das Wasser über ihr und um sie herum. Es fühlte sich an wie ganz normales Wasser. Es gab keine Fel sen, keinen Boden, sie sank und sank, dann schwamm sie mit kraftvollen Zügen aufwärts, die plötzlich an Kraft ver loren. Sie konnte kaum die Arme heben. Ihre Lunge schien kurz vor dem Bersten zu sein.
Sie hatte die dünne Luft vergessen. Sie versuchte, sich auf wärts zum Licht zu kämpfen, sie sah Theo wie einen dunk len Schatten über sich. Aber sie konnte das Wasser nicht verdrängen, und sie musste atmen. Selbst ein tiefer Atem zug im Wasser wäre besser als der sprengende Schmerz in ihrer Brust.
Ein einziger tiefer Atemzug. Nur einer, danach würde sie den Atem wieder anhalten können. Ihr Brustkorb brannte, der Schmerz war unerträglich, sie musste atmen, egal, ob mit oder ohne Luft. Das durfte sie nicht denken, aber nun wurde ihr schwarz vor Augen.
Vielleicht musste sie jetzt sterben. Vielleicht gab es hier unten ein trauriges Gesicht, das sich über ihr Kommen freu en würde. Möglicherweise sah er ihren Körper schon erwar tungsvoll an, ihren unversehrten, vollständigen Körper, der bald ihm gehören würde. Sie wollte nicht sterben.
Das Bild ihres eigenen bleichen Leichnams im Wasser gab ihr die zusätzliche Kraft, die sie brauchte, um sich ab zustoßen, einen letzten verzweifelten Schwimmzug zu ma chen und den Kopf aus dem Wasser zu strecken.
Noch nie war ihr Luft so segensreich vorgekommen.
Sie atmete mit tiefen, röchelnden, schmerzhaften Zügen.
Als Arme und Beine ihr wieder gehorchten, schwamm sie zu Theo und drehte ihn um. Er bewegte sich nicht, at mete nicht.
Sie hielt trotzdem sein Gesicht über Wasser. Vor allem musste sie ihn ans Ufer schaffen. Wo war Tigist? Sie schau te auf und sah, dass jemand ein Seil mit Knoten herunter geworfen hatte. Der Zabagna war auf dem Weg zu ihnen, geschmeidig und gewandt kletterte er die Felswand hinab, und unter dem einen Arm hielt er ein braun gesprenkeltes Huhn, das lautstark protestierte.
War er Freund oder Feind? Hatte sie vielleicht gegen ein entsetzliches Tabu verstoßen, als sie in den See des Geistes gesprungen war?
Jetzt war immerhin Verstärkung unterwegs. Hinter dem Zabagna kletterte auch Tigist nach unten. Beim Zabagna sah das ganz leicht aus, Tigist dagegen schien am Seil her abzugleiten.
Ein plötzlicher Schmerz im Bein hätte Monika Theo fast aus dem Griff verlieren lassen.
Lasse hatte sich geirrt. Die Felswand fiel hier nicht steil nach unten ab. Monika war mit dem Bein gegen eine Fels kante gestoßen, die einige Meter in das dunkle Wasser hi neinragte.
Die Vorstellung, was passiert wäre, wenn sie auf diese Kante aufgetroffen wäre, drängte sich auf, aber sie schob sie beiseite. Sie versuchte, auf den glatten und schrägen Fels zu
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