Wofuer es sich zu sterben lohnt
weißt du, was das ist?«
»Seit soeben. Ich war eine Weile nicht im Dienst, hat te mir direkt vor Weihnachten das Bein verletzt, und jetzt sagt mein Arzt, dass ich auf halber Flamme wieder anfan gen kann.«
»Und du tust natürlich, was dein Arzt sagt …«
Bosses verärgerte Miene und sein Blick auf die Uhr hin derten ihn nicht daran, in Dereks Lachen einzustimmen.
»Aber sicher doch. Etwas anderes hast du ja wohl nicht erwartet!«
Bosse hatte recht, es war Zeit für den Termin mit Helena. Sie hatten einen Besprechungsraum zugewiesen bekom men, da ihr kleines Arbeitszimmer nicht groß genug für drei Personen war.
»Es ist vielleicht besser, wenn du das Gespräch führst. Mit jungen Mädchen kenn ich mich nicht so gut aus!«
Was für ein Wunder! Ein Funken von Selbsterkenntnis. Wer hätte das gedacht? Das alles sagte Monika nicht, sie nickte nur.
Helena war wirklich schön. Nicht nur schön, wie alle gesunden Siebzehnjährigen mit reiner Haut und langen Beinen es sind. Dieses Mädchen hier besaß eine eigene, ganz besondere Schönheit, die es nicht banal wirken ließ, obwohl sie in gewisser Weise einem Klischee entsprach. Sie trug Jeans, Schulpullover und Sandalen, und an ihr sah alles wie Designerware aus. Neben ihr saß eine Frau von etwa fünfzig mit den gleichen langen Beinen, kurzen grauen Haaren und einem runden, ungeschminkten, recht freundlichen Gesicht. Die Mutter, tippte Monika - und mit der wollte sie auch sprechen. Aber nicht gleichzeitig.
Wenn Monika etwas über Vernehmungen von Teenagern gelernt hatte, dann, dass die Eltern lieber im Wartezimmer bleiben sollten. Aber dieses Mädchen hatte so Schreckli ches mitgemacht. Ihr Freund war wenige Minuten, nach dem sie sich für den Abend getrennt hatten, umgebracht worden. Die Mutter hatte sie geholt, ehe die Polizei gekom men war, obwohl allen aufgetragen worden war, an Ort und Stelle zu bleiben.
Monika wollte deshalb keinen Ärger machen. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Helena schien glücklicherweise damit zu rechnen, dass sie das Gespräch ohne ihre Mutter führen würde. Monika fragte, ob sie danach noch kurz mit der Mutter sprechen könnte.
»Sicher. Das muss sicher früher oder später geschehen, warum also nicht jetzt? Wenn es Helena recht ist. Wir kön nen ja abwarten, wie ihr zumute ist, wenn Sie fertig sind.«
Helena setzte sich, weich und geschmeidig. Monika re gistrierte, dass Bosse seine Blicke einfach über sie hinweg wandern lassen musste, von der kurzen Stachelfrisur, vorbei an ihren hellbraunen Augen, dem langen Hals, bis der Blick dann an ihren kleinen weißen Füßen mit den hellblauen Nägeln haften blieb, nachdem er eine Weile auf Brusthö he verharrt hatte.
Helena reagierte nicht. Sicher ist sie daran gewöhnt, dachte Monika. Die arme Kleine.
Als Helena anfing zu sprechen, wurde es schlimmer. Sie war siebzehn. Sie hätte für zwanzig durchgehen können, aber sie redete wie eine Fünfzehnjährige. Höchstens.
Sie bestätigte das, was die anderen aus ihrer Klasse schon erzählt hatten. Sie war seit etwas über einem halben Jahr mit Juri zusammen gewesen. Er war am Freitagabend in die Tagesstätte gekommen, um nach ihr zu sehen, das machte er immer, wenn sie nicht zusammen waren. Bosse fragte, ob sie oder irgendjemand sonst gewusst hätten, dass er kom men wollte. Sie schüttelte den Kopf. Er habe nie Bescheid gesagt, sei einfach aufgetaucht.
Sie wirkte ein wenig ängstlich, aber nicht traurig, obwohl sie doch jetzt eine Art Witwe war.
»War er eifersüchtig?«, fragte Monika.
Helena machte ein überraschtes Gesicht.
»Nein.«
»Deshalb ist er also nicht gekommen?«
»Er wollte die Jungs wohl nur daran erinnern, dass sie mich in Ruhe lassen sollten. Das haben sie gemacht. Des halb war es doch so gut, mit ihm zusammen zu sein.«
Monika ließ diese Mitteilung einen Moment lang si ckern.
»Es war doch sicher auch noch aus anderen Gründen gut?«
Eine kleine Konzentrationsfurche tauchte zwischen He lenas gewölbten Augenbrauen auf. Sie überlegte. Und ant wortete endlich, mit leichtem Zögern:
»Neihein … ich weiß nicht.«
»Hattest du ihn nicht gern?«
Jetzt war sie sich ihrer Sache schon sicherer.
»Nein.«
»Soll das heißen, dass du nur mit ihm zusammen warst, weil die anderen Jungen dich in Ruhe lassen sollten?«
Helena nickte gelassen. So war es gewesen.
Monika musterte das kleine Mädchen in dem viel zu er wachsenen Körper und hatte zum ersten Mal Zweifel an der Schulpflicht. Jugendliche können sich
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