Wofuer es sich zu sterben lohnt
sträubten sich, als sie nun hörte, dass zwei Quadratzentimeter Haut an dem klei nen Körper gefehlt hatten. Jemand hatte aus jedem Unter arm ein kleines Stück Haut geschnitten. Die Gerichtsmedi ziner glaubten, das sei nach ihrem Tod geschehen. Danach hatte jemand die Wunden an den dünnen Armen mit glit zernden rosa Pflastern bedeckt. Diese letzte Information sollte nicht an die Presse weitergegeben werden, aber wenn die Kollegen in ihrer Mittagspause noch lange darüber dis kutierten, würde es trotzdem bald durchgesickert sein.
Einer der ausgebrochenen Häftlinge war am Vormittag in der Göteborger Innenstadt gefasst worden. Er hatte eine Schusswunde im Bein und fürchtete sich mehr vor seinen Kumpeln als vor der Polizei. Gerüchten zufolge hatte er seit seiner Festnahme kein Wort mehr gesagt.
Niemand fragte, wie Monika und Bosse weiterkamen. Ju ris kurzes Leben war bereits vergessen, jedenfalls auf dem Revier und in den Zeitungsredaktionen des Landes.
Nach der Mittagspause, die eine gute Stunde gedauert hatte, kehrte Monika in ihr kleines Arbeitszimmer zurück. Sie setzte sich an den Schreibtisch, drehte den Stuhl tiefer und holte tief Atem.
Es war angenehmer, zu zweit zu sein, wenn die Zusam menarbeit funktionierte, aber es war unbeschreiblich viel besser, allein zu sein, statt mit Bosse zusammenzuarbei ten.
Jetzt hatte sie einen weiteren Nachmittag zur freien Ver fügung.
Als Erstes rief sie bei der Spurensicherung an - sie wollte die Fotos von Juri sehen, sie wusste noch immer nicht, wie er dort im Gebüsch gelegen hatte. Sie wollte wissen, was in der Nähe des Leichnams gefunden worden war.
Bei der Spurensicherung war noch immer besetzt. Monika ließ sich im Sessel zurücksinken. In der Stille fing sie an, nach den Umrissen des Gesamtbildes zu su chen. Eigentlich wussten sie nur wenig. Es gab so viele, mit denen sie nicht gesprochen hatten, so vieles, was nicht ge sagt worden war. Zugleich wusste sie, dass Daga recht hat te. Sie mussten nicht alles wissen. Es reichte, wenn sie eini ge zentrale Tatsachen zu fassen bekamen. Diese Tatsachen könnten danach Struktur in ihre weitere Suche nach dem oder denen bringen, die Juri das Messer in den Rücken ge stoßen hatten.
Sie wussten, dass das Messer, mit dem Juri getötet wor den war, aus der Tagesstätte stammte. Das bedeutete ver mutlich, dass sie seine Geschäftskontakte von der Liste der Verdächtigen streichen konnten. Das war gut.
Sie wussten, dass Theo verschwunden war. Sie hoffte, dass wirklich er nach Addis geflogen war. Sie hoffte, dass Inspektor Tigist ihn bald finden würde.
Und weiter wusste sie, dass Juri mit Matilda Sex gehabt hatte. Ihr schauderte beim Gedanken an das Bild, den Alb traum aller Eltern.
Sie wusste, dass die Psychologin solche Angst gehabt hat te, dass sie versucht hatte, zu lügen, und dass sie versucht hatte, ihren Freund und dessen Motorrad aus dem Verhör herauszuhalten. Ein kurzes Gespräch mit dem Freund wäre da doch durchaus angebracht.
Sie wusste, dass Helena viel jünger war, als sie aussah, und dass Juri einen ungewöhnlich attraktiven Hauswirt schaftslehrer gehabt hatte.
Sie setzte sich gerade. Woher war dieser Gedanke gekom men?
Besser, sie machte sich ans Werk. Am Vortag hatte sie das Gymnasium besucht, heute war die Tagesstätte an der Reihe.
Sie wollte feststellen, was vom Spielplatz aus zu sehen war und was nicht. Sie wollte sich das Gebüsch ansehen, in dem Juri gefunden worden war, und diesmal in aller Ruhe.
Die Tagesstätte
Die Tagesstätte Walderdbeere sah ebenso deprimierend aus wie am Montag. Monika betrat den menschenleeren Hofplatz. Durch das offene Fenster waren Kinderstimmen und das Klappern von Geschirr zu hören. Sie bog um die Hausecke und setzte sich auf eine Wippe. Hier hatte Hele na gesessen. Das Tor war von hier aus nicht zu sehen, das Dickicht auch nicht. Aber sie konnte in die Küche blicken, deren zwei Fenster auf die Wippe schauten.
Sie drehte eine Runde um das Haus, wie Helena und Juri es getan hatten. Dafür brauchte sie drei Minuten. Danach ging sie durch das Tor, bog nach rechts ab, folgte ein Stück weit dem Bürgersteig und nahm dann den asphaltierten Gehweg. Sie brauchte nicht einmal dreißig Sekunden, um den Trampelpfad zu erreichen, der ins Dickicht führte, falls etwas, das nur anderthalb Meter lang war, überhaupt als Pfad bezeichnet werden konnte.
War Juri diesem Weg gefolgt und dann seinem Mörder begegnet? Die Alternative wirkte unwahrscheinlich. Sie konnte sich
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