Wofuer es sich zu sterben lohnt
Kollegin fragte Tigist: »Monika - was bedeutet das?«
»Was das bedeutet?«
»Ja, was bedeutet Monika? Oder ist das nur ein Klang?«
Nur ein Klang? Es war doch ein Name, reichte das nicht?
»Das ist sicher nur ein Name. Was bedeutet Tigist?«
»Geduld.«
Geduld. Sie hieß Geduld. Monika war froh darüber, dass es keine schwedischen Mädchennamen gab, die Geduld zur Tugend erhoben. Auf Englisch konnten Mädchen Pa tience, Prudence, Hope oder Chastity heißen. Das hatte sie immer schrecklich gefunden. Vermutlich war es auf Am harisch ähnlich, aber Monika wollte die Zusammenarbeit nicht mit einem Kommentar über den Namen ihrer Kol legin beginnen.
»Und hast du viel Geduld?«
Tigist strahlte.
»Absolut keine. Ich hab den völlig falschen Namen. Ei gentlich besitze ich überhaupt keine Geduld.«
Ihre Hände waren schmal und glatt und die ganze Zeit in Bewegung - sie sprach, mit Gesicht und Händen.
»Aber erzähl endlich, habt ihr Theodoros wirklich ge funden?«
»Das war überhaupt kein Problem - er war zu Hause.«
»Er hat ein Zuhause in Addis Abeba?«
»Das hat er. Die Stadt ist in Kebbeles eingeteilt. Das sind kleine Einheiten, und jede hat ein ziemlich kleines Revier. Wenn man erst weiß, in welcher Kebbele man zu suchen hat, findet man die Leute meistens sofort.«
Monika fand, das höre sich an wie das längst überholte System der Kontaktbereichsbeamten.
»Und er war zu Hause?«
»Ja, sicher. Sie haben ihn heute Morgen aufs Revier ge holt.«
»Hat er die ganze Zeit gewartet? Und was, wenn er wie der nach Hause gegangen ist?«
»Er ist nicht gegangen. Die Kebbele Kollegen sagen, dass er sehr gern mit einer Polizistin aus Schweden sprechen möchte.«
»Und ich hatte gedacht, er sei hergekommen, um eben nicht mit schwedischen Polizistinnen sprechen zu müs sen!«
Tigist zuckte mit den Schultern. Monika musste einfach ihre Hände anstarren, die sich hoben, zur Seite schossen, die Handflächen nach oben kehrten. Goldringe funkelten auf brauner Haut.
»Es gibt ein kleines Problem, nämlich, dass er offenbar das Land gar nicht verlassen hatte, aber das werden wir ja erfahren, wenn wir mit ihm sprechen.«
Er hatte das Land nicht verlassen? Und das sollte ein klei nes Problem sein? Verdammt! Hatte Tigist sie ganz unnötig nach Addis Abeba gelockt?
Monika musste daran denken, was sie über Kulturen ge hört hatte, wo es als unhöflich gilt, nein zu sagen. Wer frag te, ob eine bestimmte Straße an ein bestimmtes Ziel führe, bekomme deshalb immer ein Ja zu hören, egal, wie falsch diese Antwort auch sein mochte.
War es in Äthiopien vielleicht ähnlich? Hatte Tigist ei nen Theodoros besorgt, irgendeinen Theodoros, aus purer Höflichkeit? Und würde sie dann das Gefühl haben, ihre Pflicht getan zu haben?
»Der junge Mann, nach dem ich suche, hat fast zwei Jah re in Schweden verbracht und ist am Montag zurückge kommen.«
Wieder zuckte Tigist mit den Schultern.
»Wir werden mit ihm sprechen. Dieser hier heißt jeden falls Theodoros GebreSelassie. Er besitzt zwei Staatsbürger schaften, die schwedische und die äthiopische, und seine Passnummer ist identisch mit der, die du geschickt hast.«
Das beruhigte Monika ein wenig.
Sie hatten ihren Kaffee getrunken, und es war Zeit zum Aufbruch.
Die Streifenwagen waren weiß mit blauem Text - »Fe deral Police« -, auf Englisch und Amharisch. Sie verfüg ten außerdem über Fahrer. Tigist und Monika setzten sich nach hinten, Monika kam sich vor wie in einem Taxi ohne Taxameter.
Nach einer Weile verließen sie die asphaltierte Straße. Dann hatten sie plötzlich die natürliche Umwelt der poli zeieigenen Geländewagen erreicht - die Fahrbahn war so löchrig, dass ein normales Auto sehr schnell sein Fahrge stell eingebüßt hätte.
»Jetzt«, sagte Tigist und hob beide Hände, »jetzt werden wir hören, was Theodoros zu sagen hat.«
Das kleine Revier war umgeben vom gleichen grauen Well blech wie die übrigen Häuser. Eine verschmutzte, ziemlich verschossene Flagge hing schlaff an einem kurzen Fahnen mast. Es wäre leicht gewesen, das Revier zu übersehen, wenn nicht eine kleine Gruppe unverkennbarer Polizis ten in sauberen, tadellos gebügelten Khakiuniformen und schwarzen Stiefeln davor gestanden hätte. Sie schienen Pau se zu machen, sie plauderten im Sonnenschein miteinan der. Als sie den Wagen entdeckten, öffneten sie die Tore.
Monika und Tigist stiegen aus in die Staubwolke, die der Wagen aufgewirbelt hatte.
In einem kalten Zimmer saß ein
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