Wofür stehst Du?
…
Woran liegt das? An meinem Herkommen? Ich bin ja nicht mehr da, wo ich herkam. Mir fehlt oft ein festesinneres Vertrauen in meine Fähigkeiten, die in der Welt meiner Eltern keine wirkliche Rolle spielten und mit denen ich bei ihnen auf keine große innere Resonanz stieß. Sie waren nicht wirklich zu begeistern mit dem, was ich tat – oder wenn sie begeistert waren, zeigten sie es nicht, ich hörte das dann allenfalls von anderen: dass sie stolz waren. Eine berufliche Entscheidung wie die, meine Anstellung bei der Zeitung zu verlassen und freier Schriftsteller zu werden, hätte meinen Vater, dem Sicherheit über alles ging, geradezu mit Panik erfüllt – und ich selbst spüre diese Vaterangst logischerweise natürlich immer wieder in mir.
Ich bin ja auch ein Kind der Aufstiegsgesellschaft, die es einmal gab und natürlich immer noch gibt und der wir viel verdanken. Mein Vater hatte kein Abitur, sondern mittlere Reife, aber am Ende hatte er sich auf einen Posten hinaufgearbeitet, für den man eigentlich das Abitur gebraucht hätte. Alle seine Söhne machten am Ende Abitur, und es öffnete sich für sie eine weitaus größere Welt als jene, die sie als Kinder kannten. Allein zwei von ihnen wurden Journalisten, ein berühmtes Zitat bestätigend, das Raymond Walter Apple zugeschrieben wird, der lange einer der großen Reporter der New York Times war: Journalismus ist für die Mittelschicht, was Boxen für die Unterschicht bedeutet: eine Möglichkeit, schnell anerkannt zu werden, zu Geld und nach oben zu kommen.
Die Wahrheit über Hochstapler aber ist: Ich fühle mich nicht nur wie einer, ich bin wirklich einer. Oder ich war einer, ein kleiner jedenfalls, doch ein guter. Als ich Anfang der Achtzigerjahre als Sportreporter bei der Süddeutschen Zeitung anfing, fand gleich zu Beginn meiner Zeit dorteine alpine Ski-Weltmeisterschaft statt, ein großes Ereignis, bei dem man sich als Reporter schnell einen Namen machen konnte. Ein Mann dafür wurde noch gesucht. Der Chef fragte in die Runde, wer sich das zutraue. Er müsse etwas vom Skisport verstehen und selbst Ski fahren können.
Ich hörte, wie eine Stimme, die wie meine klang, sagte: »Ich«. Und ich sah, wie ein Finger, der wie mein Finger aussah, in die Höhe ging – obwohl ich damals mit Mühe einen Spezial- von einem Riesenslalom unterscheiden konnte und nie auch nur einen einzigen Hang auf Skiern heruntergefahren war.
Sie nahmen mich. Bei der Ski-WM regnete es dann fast die ganze Zeit, sodass zunächst nur wenige Rennen stattfanden und ich eine lustige Regenglosse nach der anderen schreiben musste, was mir gut gelang. Dass ich nicht Ski fahren konnte, fiel nicht weiter auf.
Ich habe es dann viel später gelernt. Da war ich aber nicht mehr Ski-Reporter.
Gott sei Dank bin ich nicht mehr Ski-Reporter. Es hätte mich irgendwann gelangweilt, als erwachsener Mann immer noch die Nachfolger Hans Klammers nach dem Abschwingen im Zielbereich über ihre Empfindungen beim Abfahrtslauf zu befragen und ihre nichtssagenden Antworten zu notieren. Ich konnte mich anders weiterentwickeln und Karriere machen, konnte reisen, meinen Neigungen nachgehen – und gleichzeitig vier Kinder haben. Natürlich habe ich oft abends, nachts und an den Wochenenden geächzt (und ächze immer noch):dass ich mich jetzt nicht entspannen könne, sondern für die Kinder präsent sein müsse, dass ich keine Zeit mehr für mich hätte, dass mich die Verantwortung drücke, dass, dass, dass …
Nur muss man, wenn es um Gerechtigkeit geht, auch erwähnen, dass alle meine Kinder immer eine Mutter hatten, die für sie da war (und ist), wenn sie nach Hause kamen (und kommen), eine Mutter, die ihren eigenen beruflichen Ambitionen nur in reduzierter Weise nachgehen konnte (und kann). In meiner eigenen Kindheit war das noch eine Selbstverständlichkeit, es gab nur wenige verheiratete arbeitende Frauen mit Kindern – und wenn es sie gab, wurden sie oft scheel angesehen oder vielmehr: Ihre Männer galten als Luschen, die ihre Familie nicht ernähren konnten. Wie es einer meiner Onkels einmal ausdrückte, über einen Nachbarn redend, dessen Frau als Haushaltshilfe Geld verdiente: »Der«, sagte er abfällig, »schickt seine Frau arbeiten.«
Heute, eine Generation weiter, gibt es Frauen mit Kindern, die auch noch berufstätig sind, und Frauen mit Kindern, die ihren Beruf nicht ausüben. Es gehört zu den Dingen, die ich an heutigen Familien bewundere: wie sie es oft schaffen, Rollenverteilungen, die ja
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