Wofür stehst Du?
bei unseren Eltern noch ganz strikt und selbstverständlich von vorneherein fixiert waren, immer wieder neu und ganz individuell für sich auszuhandeln – das ist nämlich, wie jeder Betroffene weiß, sehr anstrengend. Es ist jedoch ein Fortschritt.
Aber: Die nicht berufstätigen Frauen werden häufig in Gesprächen gefragt, was sie denn beruflich so machten, und wenn sie antworten, sie seien im Moment nicht berufstätig, der Kinder wegen, schwingt in den Reaktionendarauf oft der überraschte Unterton mit: »Ach, und sonst haben Sie nichts zu tun …?« Die Berufstätigen müssen sich mit dem genau gegenteiligen Subtext in dem auseinandersetzen, was ihr Gegenüber sagt: »Und ihre armen Kinder, wer kümmert sich um die?«
Dass es so ist, weiß ich übrigens von meiner Frau. Ich selbst bin so etwas nie gefragt worden.
Was sehr ungerecht ist.
Ich kenne keinen jüngeren Chef in Deutschland, der nicht irgendwann einen merkwürdigen Drang verspürte; mir selbst ist es auch nicht anders ergangen: Kaum sitzt er einigermaßen fest im Sattel, nagt in ihm der Verdacht, dass es noch viel besser laufen könnte, wenn man es nur schaffte, einen Teil der alten Mitarbeiter zu entlassen. Jeder hat inzwischen jüngere, oft sympathischere und besser motivierte Kollegen vor Augen, die in der Regel auch noch für niedrigere Gehälter zu haben wären. Er denkt sich (und mancher versucht es auch): Könnte ich die Alten bloß loswerden! Was die meisten nicht sagen, vielleicht auch, weil es ihnen gar nicht so bewusst ist: Die Älteren sind immer auch eine Erinnerung an die eigenen Vorgänger, die ihren Job, wie man mit der Zeit merkt, zwar anders, aber auch nicht schlechter gemacht haben, eine Erkenntnis, die für Egomanen etwas Kränkendes hat.
Weil es in Deutschland, im Unterschied zu Nachbarländern wie der Schweiz oder Dänemark, sehr schwer ist, altgediente Mitarbeiter zu entlassen, und weil manche darunter sind, die sich womöglich auch auseinem Gefühl der Bedrohung heraus in den Betriebsrat wählen lassen (weshalb sie auf Jahre erst recht unantastbar sind), fangen einige an, ganz furchtbar auf das deutsche Modell zu schimpfen. Aber abgesehen davon, dass auch das deutsche Arbeitsrecht längst nicht mehr so starr angewendet wird, erkennen sie eines nicht oder viel zu spät: Gute Unternehmen brauchen den Mix der Generationen und Talente.
Wahrscheinlich ist es auch so, dass man einen gewissen Prozentsatz von Mitarbeitern, die nicht so gut sind wie die Spitzenkräfte, einfach mittragen muss. Denn zum einen ist eine objektive Einschätzung der realen Fähigkeiten nahezu ein Ding der Unmöglichkeit und dann auch noch abhängig von den eigenen Führungsqualitäten. Zum anderen stehen viele Unternehmen bereits an der Schwelle zum Effizienzwahn. Das Modell einer Firma, in der nur Leistungsträger arbeiten, ist eine Utopie; sie zu verwirklichen schaffte in letzter Konsequenz ein System, in dem jeder permanent unter der Bedrohung arbeiten müsste, den Anforderungen nicht zu genügen und schnell wieder abgeworfen zu werden. Wie man es auch anstellte: Die totale Effizienz (wie übrigens auch die Idee der totalen Gerechtigkeit) führt, wie bislang alle utopischen Vorstellungen, in ein System der Willkür.
Wie fühlt sich einer, der Mitarbeiter entlässt – glaubt er, gerecht zu sein? Macht es ihm überhaupt etwas aus? Ich habe diese Frage oft Managern gestellt, seltener, was ein Versäumnis ist, den Eignern von Unternehmen, in deren Namen das geschieht; manchmal habe ich auch die Inhaber kleiner Agenturen, Wirteoder Chefredakteure (was gelegentlich auch meiner eigenen Orientierung und Entlastung diente) damit konfrontiert. Nie habe ich einen getroffen, der nicht als Erstes bemerkt hätte, wie schwer das sei. Wobei schon auffällt, dass einige gleich derart gequält tun, dass sich die Rollen zu verkehren scheinen: Die wirkliche Zumutung muss ja nun mal der ertragen, der entlassen wird – nicht der Chef, der sich überwinden muss, die schlechte Nachricht zu verkünden. Einzelne verfallen in einen abstoßend wirkenden Kriegsslang, der vielleicht auch ein besonders schlechtes Gewissen übertönen soll, aber vor allem so wirkt, als sei das Mitgefühl für die Betroffenen ähnlich gering ausgeprägt wie beim siegreichen Feldherrn, der nach dem Kampf das mit Opfern übersäte Schlachtfeld abschreitet: »Als wir damals den Laden übernommen haben«, sagte mir einmal der Vorstand eines großen Unternehmens, natürlich off the record , »sind wir
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