Wofuer wir kaempfen
Sanitätsübung damals in Rothenburg verbündet hätten, um sich später zu helfen. Tino als Verletzter und ich als seine Samariterin. Wenn das nur ein Einzelfall gewesen wäre, würde ich heute nicht darüber nachdenken. Aber nach Rügen war es das zweite Ereignis, bei dem man sich hinterher fragen kann, ob es mehr war als nur ein Zufall – oder schon so etwas wie ein Wetterleuchten nachts am Horizont.
Noch heute, wenn ich diese Zeilen schreibe, steigen mir Tränen in die Augen und mir wird immer wieder klar, wie wenig ich das selbst bis heute verarbeitet habe. Damals wollte ich stark sein, und ich musste stark sein, um Tino zu helfen. Trauer und Schwäche habe ich damals nicht zugelassen. Wir mussten das offensiv angehen, nach Möglichkeiten und Auswegen suchen. Trauer und Weinen schienen mir in der Situation damals völlig unangebracht. Ich war schließlich nicht verletzt, und Vio hätte noch mehr Gründe gehabt, verzweifelt zu sein. Da wollte ich mich nicht gehen lassen. Stefan ging es ja noch schlechter.
Zu diesem Zeitpunkt schwebte Tino noch in Lebensgefahr. Da ist man dann Realist und sagt sich: Lieber Amputation als Tod.
Bein gegen Leben. So platt und einfach war das. Das war der Deal. Und wenn ich Tino heute so sehe, muss ich sagen, es war ein guter Deal. Wir haben uns auch alle immer wieder gesagt: »Tino ist wieder zu Hause, egal wie, er ist wieder da.« Wir haben nicht den Menschen verloren.
Während wir am Mittwochabend mit uns selbst und dem Schicksal unserer Männer beschäftigt sind, landet ein zweites Flugzeug mit einer Fracht aus Kabul an Bord auf dem Flughafen Köln-Wahn. Ein ganzes Flugzeug für eine einzige Fracht. Einen Sarg.
Soldat Armin Franz
Oberstleutnant Armin Franz hatte keine Chance. Während Tino und Stefan noch im Schutz der Panzertüren standen, war er gerade hinten rechts aus dem Wolf gestiegen und schaute in Richtung des Attentäters. Nichts konnte ihn mehr schützen. Die gepanzerte Beifahrertür war weit offen – Franz stand davor ohne jede Deckung. Auch kein Sprung hätte ihn retten können. Wohin auch? Franz hätte jetzt entweder hinten um den Wagen herum zu Tino spurten müssen oder nach vorn um die Beifahrertür herum zu Stefan Deuschl. Zurück ins Wageninnere springen? Auch dort hätte die Druckwelle ihn zermalmt. Alles kostete wertvolle Sekunden, die er nicht mehr hatte, als er merkte, dass der Attentäter mit Vollgas auf ihn zufuhr, um ihn in die Luft zu sprengen. Franz muss in seinen letzten Panikgedanken begriffen haben, dass er gleich sterben wird.
Nach der Explosion war sein Körper kaum identifizierbar. Zerrissen, verbrannt, atomisiert wie sein Mörder. Er war der erste deutsche Reservist, der in diesem nicht erklärten Krieg fällt – der 64. Tote bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Und der 18. deutsche Soldat, der in Afghanistan gewaltsam starb – so die Statistiken im Jahr 2005. Es würden noch mehr werden.
Nur 100 Kilometer zwischen Koblenz und Köln-Wahn trennten an diesem Abend die Überlebenden und den Toten. Die Hoffenden von den Trauernden.
Es war ein kalter, regnerischer Novemberabend, als am 16. November gegen 20 Uhr die Transall aus Afghanistan mit dem Leichnam von Armin Franz auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn landete. Einen Tag, nachdem Tino und Stefan ins Bundeswehrkrankenhaus Koblenz eingeliefert
worden sind, ist auch Armin Franz zurück nach Deutschland zurückgekehrt. In einem Sarg aus Eichenholz.
Nur eine Stunde nach der Landung begann die Trauerzeremonie für den Getöteten. Im Fernsehen sahen wir abends den großen Aufzug zu Ehren des tot heimgekehrten Soldaten – mit Ehrenbataillon, Politprominenz und Trommelwirbel. Soldaten trugen seinen Sarg. Es hätte auch Tinos Sarg sein können. Oder Stefans. Im Hangar warteten die Trauergäste, darunter Bundesverteidigungsminister Peter Struck, der Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan, der SPD-Wehrbeauftragte Reinhold Robbe und der Generalkonsul Afghanistans. Menschen weinten, als der Sarg durch ein 70 Mann starkes Spalier einer Ehrenformation in den Hangar getragen wurde. Es schien unmenschlich, in dieser riesigen, kalten Halle wirklich Abschied nehmen und trauern zu müssen. Im Hintergrund starteten Flugzeuge. Man hörte die Triebwerke aufheulen, während der Militärgeistliche ein Gebet sprach. In seiner Trauerrede sprach er von einem heimtückischen Anschlag und einem erzwungenen Opfer, das als Aufgabe und Verpflichtung für jeden Einzelnen anzusehen
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