Woge der Begierde
anderen Ende. Von da aus führte eine geschwungene Treppe nach oben. Nach einer längeren Betrachtung sagte er über seine Schulter zu ihnen: »Ich nehme an, dass das hier das untere Ende der Treppe ist, auf der wir gestern Abend waren. Wir kennen vielleicht nicht alle ihre Wendungen, aber wir wissen, wo sie hinführt.«
Er wandte sich von dem Durchgang ab und ihnen zu, als Daphne plötzlich rief: »Charles, sieh nur! Sieh auf den Boden.«
Eine dicke Schicht Staub bedeckte den Steinboden, aber was aller Aufmerksamkeit fesselte, waren die Fußspuren darin, die den Raum durchquerten. Die erste Spur führte von der Tür, wo sie standen, zu der anderen Seite, wo ein weiterer Durchgang war. Ein zweites Paar lief von der Treppe in die Mitte des Raumes, mischte sich dort mit den anderen und verschwand in den ersten, und die letzte Spur schließlich stammte von Charles und verlief von der Tür zur Treppe, als nasse Abdrücke klar im Staub und den Schritten zu erkennen, die zuvor schon da gewesen waren, ehe er diesen Raum betreten hatte.
Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf, als Charles
sie betrachtete. Die Spuren waren nicht verwischt oder undeutlich, aber ob eine oder mehrere Personen diesen Weg gegangen waren, konnte man nicht sehen. Kein Geist hat diese Spuren hinterlassen, überlegte Charles angespannt. Aber jemand anderes. Jemand, der diesen vergessenen Teil von Beaumont Place kannte, jemand, der darüber Bescheid gewusst hatte und ihn für eine Weile genutzt hatte …
Es war Nell, die aussprach, was alle dachten. »Es ist Raoul«, erklärte sie mit entsetztem Tonfall. »Das weiß ich. Ich kann ihn spüren.«
Julian schaute sie scharf an. »Du hast doch aber gesagt, du hättest keine Albträume mehr.«
»Das stimmt, ich habe nicht von ihm geträumt, aber ich kann selbst nicht erklären, was ich gerade empfinde«, erklärte Nell ehrlich, und ihre meergrünen Augen waren vor Furcht weit aufgerissen. »Ich weiß einfach so sicher, wie er in all den Jahren meine Träume heimgesucht hat, dass diese Spuren von Raoul stammen.«
»Wenn das stimmt, dann steht es außer Frage, dass du und Daphne weiter mit uns kommen«, erklärte Julian.
»Julian hat recht«, pflichtete ihm Charles bei und stellte sich vor Daphne. »Wir können ihn nicht jagen, wenn wir uns um euch sorgen. Ihr müsst zu den anderen ins Haus zurückgehen und dort auf uns warten.«
Daphne schüttelte den Kopf. »Wie willst du dann wissen, ob wir in Sicherheit sind?«, fragte sie und schaute Charles geradewegs an. »Wenn es Raoul ist, dann kennt er sich mit diesem Teil des Hauses aus. Wer weiß, was er dabei entdeckt hat? Welche anderen Wege ins Haus er gefunden hat? Während ihr ihn hier unten sucht, könnte er ungesehen ins Haus schlüpfen und genau das tun, was ihr fürchtet.«
Ihre Worte waren nicht zu widerlegen, und Charles
verkniff sich einen Fluch und starrte starr auf den dunklen Schatten der Tür auf der anderen Seite des Raumes. Es war unwahrscheinlich, dass es weitere Geheimtreppen oder Gänge gab, aber durfte er das Risiko eingehen?
Er schaute Julian an. »Da hat sie recht«, erklärte der zögernd.
»Und so sind wir fünf gegen einen«, mischte sich Nell ein.
Charles und Julian sahen Marcus an. Der zuckte die Achseln. »Verlangt nicht, dass ich das entscheide - es sind eure Frauen.«
Charles’ Blick fiel wieder auf die Fußspuren. Er hob seine Laterne, um besser sehen zu können, und folgte mit den Augen den im Staub klar zu sehenden Schritten. Er wusste tief im Innern, wohin diese Spuren führten und fragte sich, weshalb er die Wahrheit nicht schon viel eher erkannt hatte. Er hatte die ganze Zeit und all die Mühe darauf verschwendet, Raouls Versteck zu suchen, dabei war es genau vor seiner Nase gewesen. Beaumont Place.
Als Raoul durch das Loch im Boden des Kerkers unter dem Dower House verschwunden war, hatte Sir Huxley den Dienstboten zufolge bereits im Sterben gelegen, in einem einsam gelegenen weitläufigen Herrenhaus, nur von seinen Dienern versorgt. Es gab keine Nachbarn in der Nähe. Keine lästigen Familienmitglieder, die Ärger bereitet hätten. Es gab nur dieses Gemäuer, ein Haus, das - wie der damalige vermeintliche Erbe stets beteuert hatte - er leer stehen lassen und dem Verfall anheimstellen wollte. Raoul hatte all dies gewusst - Trevillyan hatte daraus nie ein Geheimnis gemacht. Und wenn Raoul den Geheimeingang gekannt hatte, ehe Sir Huxley gestorben war …
Es ergab nun alles Sinn. Sein Bruder war immer
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