Woge der Begierde
hier Herr zu werden, und ich werde ihm helfen, soweit es mir möglich ist, aber ich werde dich auch nicht anlügen - ich werde mein Land nicht für seines opfern.« Seine Miene wurde unerbittlich. »Und ich werde auch nicht mein Leben seinem opfern«, erklärte er unverblümt, »oder dir erlauben, dass du ihm deines opferst.«
Daphne erwiderte seinen Blick geradeaus. Seine Worte passten ihr nicht völlig; es passte ihr nicht, dass er Macht über sie und ihre Geschwister bekam, aber sie wusste auch, dass er sich um mehr Fairness bemühte, als viele andere es getan hätten. Dennoch störte es sie, und sie hob ihr Kinn. »Gut. Danke für deine Offenheit.«
Charles lächelte. »Offenheit? Meine Liebe, du müsstest mich besser kennen und wissen, dass ich mich für meine Verhältnisse doch sehr zurückhaltend ausgedrückt habe.«
Lange nachdem Charles nach Lanyon Hall abgefahren war, dachte Daphne noch über das nach, was er gesagt hatte. Sie vermutete, dass unter seinem charmanten Auftreten unnachgiebiger Stahl lag, und sie fragte sich, wie weit dieser Stahl reichte … und wie oft er diese rücksichtslose Unnachgiebigkeit zeigte, die sie in ihm spürte. Verbarg er sein
wahres Wesen vor ihr? Wiegte er sie in einem falschen Gefühl der Sicherheit?
Sie rümpfte die Nase. Nein. Dafür wäre sich Charles Weston zu schade. Er hatte sich vielleicht heute Nachmittag bemüht, ihr behutsam beizubringen, was er dachte, aber er hatte nicht versucht, es hübsch zu verpacken. Es war klar, dass sie einen Mann heiraten würde, der daran gewöhnt war, dass alles nach seinem Willen ging, und der erwartete, dass es so weiterging. Aber - und es war dieses »Aber«, das ihre Angst zu beschwichtigen vermochte - er würde sie stets fair behandeln. Mehr konnte sie eigentlich nicht von ihm verlangen.
Erst als sie ihren Geschwistern am Abend gute Nacht gewünscht hatte und sich in ihr Zimmer zurückzog, musste sie wieder an den anderen Teil ihres Gespräches mit Charles denken. Als sie ihre Kammerzofe entlassen hatte, ging sie, ehe sie ins Bett stieg, zu dem großen Schrank und schaute ihn sich an. Sie konnte nichts erkennen, das auf die Tür dahinter hinwies, von der Charles ihr erzählt hatte. Mit einem Achselzucken wandte sie sich ab und kehrte zu ihrem Bett zurück, schlüpfte unter die Decken.
Erst als sie die Kerze ausblies und die Dunkelheit sich über sie senkte, fiel ihr wieder etwas ein. Charles hatte berichtet, dieses Zimmer habe früher zu der Zimmerflucht gehört, die der Hausherr von Beaumont Place bewohnte. Ihr stockte der Atem, und sie setzte sich im Bett auf. Gütiger Gott! Sie befand sich ausgerechnet im Schlafzimmer des bösartigen Sir Wesley!
12
D aphne fand in der Nacht keinen Schlaf. Sie musste die ganze Zeit an Sir Wesley denken, bis alle Vernunft sie im Stich ließ, und sie rasch einen riesigen Kerzenhalter anzündete und in der Nähe abstellte. Sie kroch wieder ins Bett, lag aber völlig steif da und schaute gebannt in die Schatten, die über die Wände tanzten und furchterweckende Bilder in ihrem Kopf malten. Mit schmerzhaft klopfendem Herzen wartete sie die ganze Nacht, dass diese schreckliche Nebelmasse erschien, die sie im Blauen Salon gesehen hatte, und sich aus dem Dunkel jenseits des Kerzenscheines auf sie stürzte. Beinahe hätte sie die weiße weibliche Erscheinung begrüßt - die wenigstens hätte Sir Wesley aus ihren Gedanken vertrieben.
Es gelang ihr, die Nacht irgendwie herumzubringen, und am Morgen konnte sie sich nur selber schelten, dass sie so albern gewesen war, konnte aber auch nicht so tun, als ob sie sich je wieder völlig wohl in diesem Zimmer fühlen würde. Es war ihr zu sehr durch das Wissen verdorben, dass Sir Wesley es einst bewohnt hatte, um sich völlig zu entspannen. Obwohl sie wusste, dass es dumm war, schaute sie, während sie sich ankleidete, immer wieder über ihre Schulter, voller Sorge, dass sie am Ende sähe, wie etwas aus den Staubteilchen, die lustig im Sonnenschein tanzten, Gestalt annahm. Angezogen und bereit, sich dem Tag zu stellen, schlenderte sie durch das Zimmer, als sei sie zum ersten Mal hier und fragte sich, wie es wohl zu Sir Wesleys Zeit ausgesehen
haben mochte. Sie überlegte, welche Schandtaten er hier ersonnen oder gar hatte ausführen lassen.
Ihr erster Impuls war, das Schlafzimmer zu wechseln, aber sie zögerte noch. Monatelang hatte sie hier ohne Grund zur Klage geschlafen. Sich jetzt auf einmal zu weigern, das Zimmer zu benutzen, würde gewiss Gerede
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