Woge der Begierde
heraufbeschwören. Es gab noch einen weiteren Grund, hierzubleiben - erst gestern hatte Charles die Räume, die an diesen angrenzten, besichtigt und gebilligt. Während sie sich anzog, hatte sie Geräusche von nebenan gehört und daraus geschlossen, dass die Diener schon begonnen hatten, sie für sie und Charles zurechtzumachen. Sie schnitt eine Grimasse. Wenn sie nicht noch mehr Gerede auslösen wollte, würde sie einfach aushalten müssen, hier zu schlafen - und zu beten, dass Sir Wesleys Geist davon absah, ihr einen Besuch abzustatten … oder irgendein anderer Geist.
Gezielte Nachfragen der nächsten Tage brachten ans Licht, dass sie tatsächlich in Sir Wesleys altem Schlafzimmer schlief, ja sogar in seinem Bett. Daphne wurde ganz unwohl angesichts dieser Neuigkeiten. Mrs. Hutton versicherte ihr zwar sogleich, dass die Daunenmatratze, die Decken, Kissen und Bettvorhänge jüngeren Datums waren. Nur das Bettgestell und der große Schrank stammten aus Sir Wesleys Zeit. Daphne war nicht getröstet. Einfach bei der bloßen Idee, dass Sir Wesley, dieses Ding aus dem Blauen Salon, früher in demselben Bett geschlafen hatte, wurde ihr ganz kalt und unbehaglich.
Niemand ahnte, welche Willenskraft sie jeden Abend aufbringen musste, um dieses Zimmer zu betreten, das nun für immer in ihrem Kopf mit Sir Wesley verbunden war. Sie ließ die ganze Nacht lang eine Kerze brennen, schlief aber schlecht und schreckte bei dem kleinsten Geräusch aus dem
Schlaf hoch, ob es nun das Knacken des Holzes im Kamin war oder das Klappern der Fensterläden in einer windigen Nacht. Doch mit der Zeit ließ ihre Furcht dann doch nach, und nach etwa zwei Wochen konnte sie fast wieder ungestört durchschlafen.
Die Arbeit in den Zimmern, die sie mit Charles bewohnen würde, machte rasch Fortschritte. Es herrschte beständige Geschäftigkeit nebenan, während Vorhänge abgenommen und gelüftet wurden, Schutzlaken entfernt wurden, unter denen grün und bronzefarben gemusterte Polster und schöne Mahagoni- und Seidenholzmöbel zum Vorschein kamen. Der Kamin wurde gesäubert und vorbereitet. Die Fensterscheiben und Spiegel glänzten, Böden und Möbel schimmerten von der aufgetragenen Politur und es roch nach Apfelessig und Bienenwachs. Das Verrücken des Schrankes schloss die Arbeiten ab. Sobald der Schrank an einer anderen Stelle stand, betrachtete Daphne die bis dahin verborgene Tür. Es war ein seltsames Gefühl, dass Charles bald schon einfach, wann immer er wollte, durch diese Tür in ihr Zimmer kommen konnte, in ihr Bett …
Der erwartete Besucherstrom von Bekannten und Freunden, die wissen wollten, was wirklich im Blauen Salon geschehen war, blieb aus, wofür Daphne zutiefst dankbar war. Sie entdeckte, dass, sobald allgemein bekannt geworden war, dass Anne Darby anwesend gewesen war, alles als geschicktes Kunststück der örtlichen Hexe abgetan worden war.
Bis zur Hochzeit waren es nur noch etwa zehn Tage. Glückwunschschreiben und Geschenke begannen einzutreffen, und es herrschte reges Treiben im Haus, während die Gästezimmer gereinigt und zurechtgemacht wurden. Die Türen modrig riechender Räume, die seit Jahrzehnten kein Tageslicht gesehen hatten, wurden weit aufgestoßen,
gründlichst gelüftet und geputzt; die Köchin verlangte nach mehr Helfern und schien Daphne wild entschlossen, Mahlzeiten auf den Tisch zu zaubern, die dem Gaumen eines Königs schmeicheln würden. Es gab Besuche bei der Schneiderin in Penzance für die Damen des Hauses, und sogar Miss Kettle lenkte ein und erklärte sich mit einem neuen Kleid aus braunroter Seide für die Hochzeit einverstanden.
Obwohl ein Besuch bei Anne Darby ganz oben auf ihrer Liste der Sachen stand, die sie erledigen wollte, kam Daphne einfach nicht dazu. Es war ihr allerdings gelungen, ein paar Tage später kurz mit Vikar Henley auf einer kleinen Abendgesellschaft, die er und seine Frau ihr und Charles zu Ehren gaben, zu sprechen. Als sich die Gelegenheit ergab, ungestört für ein paar Minuten mit ihm zu reden, erwähnte sie Sir Wesleys Namen. Der Vikar lächelte beschwichtigend. »Meine Liebe«, sagte er, »machen Sie sich keine Sorgen, dass das Blut dieses Bösewichtes in Ihren Adern rinnt. Kein Gedanke! Er hat zwar vielleicht beim Tod seines Neffen seine Hand im Spiel gehabt, aber das konnte nie bewiesen werden.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »In den Briefen, die aus der Zeit überliefert sind, wurde zwar vermutet, dass er John getötet hat - oder ihn hat umbringen lassen.
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