Woge der Begierde
Mal seit langer Zeit glücklich. Charles drückte seinem Pferd die Absätze in die Flanken, sodass es in einen leichten Galopp fiel, er wünschte sich, dass Daphne in Lanyon Hall auf ihn wartete.
Als er dort eintraf, unterrichtete Eames ihn, dass in seiner Abwesenheit ein Brief für ihn angekommen war. Er reichte ihm den Umschlag und sagte: »Sie waren erst fünf Minuten weg, als er überbracht wurde, Sir. Ich hielt ihn nicht für
wichtig, daher habe ich keinen Lakai zu Squire Henley geschickt. Ich hoffe, das war in Ihrem Sinne.«
»Natürlich war es das«, mischte sich Trevillyan ein, dessen undeutliche Aussprache verriet, dass er sich auf bestem Wege befand, sich gründlich zu betrinken. »Wenn es wichtig wäre, hätte Weston Ihnen gesagt, dass er eine Nachricht erwartet.« Seinen Butler nicht weiter beachtend, blickte Trevillyan Charles an. »Hätten Sie Lust, sich noch auf ein Glas zu mir zu gesellen?«
Charles, der wusste, dass Trevillyan an diesem Abend bereits mehr als genug getrunken hatte, lehnte höflich ab und wünschte seinem Gastgeber eine gute Nacht, dann ging er die Treppe zu seinen Zimmern hoch. Da er seinem Kammerdiener für den Abend freigegeben hatte, entledigte sich Charles rasch seiner Kleidung und streifte sich einen dunkelgrünen Samtmorgenrock über. Mit einem Glas Brandy in der Hand setzte er sich auf das Sofa und nahm den Brief.
Entschlossen, die letzten Fragen um Raouls Tod endlich begraben zu können und vor der Hochzeit so viel über die ermordeten Frauen herauszufinden, wie nur möglich, hatte Charles seine Nachforschungen rücksichtslos vorangetrieben. Er hatte nicht auf Vintons Bericht warten wollen und sich selbst an die Ermittlungsarbeit gemacht. Nachmittage und Abende, die frei von gesellschaftlichen Verpflichtungen waren, hatte er in Kneipen, Gasthöfen und üblen Spelunken verbracht und sich sehr behutsam und vorsichtig nach Fremden in der Gegend erkundigt, Neuankömmlingen und allem anderen, was sonst in irgendeiner Weise auffällig war. Es half nicht, dass er selbst ein Fremder war, aber es war erstaunlich, was ein nüchterner Mann von einem anderen erfahren konnte, der eine Runde Ale oder Gin zu viel genossen
hatte. Charles hatte freizügig mehrere Runden spendiert, um Zungen zu lösen, die sonst nichts verraten hätten. Aber auch darin lag eine gewisse Gefahr - zweimal war er nur mit knapper Not irgendeinem gleichfalls nüchternen Herrn entkommen, der bemerkt hatte, dass der schlicht gekleidete Mann, der sich stets im Schatten hielt, recht freigiebig mit seiner Börse war, woraufhin Ersterer versucht hatte, ihn dieser zu entheben. Beiden war kein Erfolg beschieden, und sie hatten den Schauplatz ihrer Niederlage zwar hinkend verlassen, aber voller Respekt für den stillen Fremden.
Trotz seiner Bemühungen hatte Charles nichts vorzuzeigen außer ein paar Schrammen, einer etwas leichteren Geldbörse und intimster Kenntnis jedes Schmugglerschlupflochs entlang Cornwalls Küste. Eines aber hatte er begriffen: Das gemeine Volk hatte wegen der toten Frauen viel mehr Angst, als die Adeligen in der Gegend ahnten. Sie machten sich große Sorgen um ihre Frauen und Töchter und sprachen mit gesenkter Stimme über die grässlichen Verstümmelungen an den beiden Leichen. Es wurde keine dritte ermordete Frau erwähnt, und Charles begann sich zu fragen, ob der Leichnam überhaupt je existiert hatte. Aber von dem, wonach er eigentlich suchte, fand er nichts. Es gab weder ein Gerücht noch sonst einen Hinweis auf einen Fremden in der Gegend, kein Wort über jemanden, der vielleicht ein Mörder war.
Er dachte an seine ergebnislose Suche und schnitt eine Grimasse, dann klopfte er sich mit dem Umschlag auf das Handgelenk. Vielleicht war Mr. Vinton erfolgreicher gewesen.
Zu Charles’ Erbitterung hatte Mr. Vinton jedoch nichts Hilfreiches entdeckt. Er warf den Brief zur Seite und setzte
sich aufs Sofa, wo er blicklos vor sich hinstarrte. Bis auf die beiden, vielleicht auch drei Frauen, die grausam ermordet worden waren, hatte er keine weiteren Erkenntnisse gewonnen, die auf den oder die Mörder verwiesen, oder, was noch wichtiger war, dass Raoul noch am Leben war und weiter Unschuldige auf seine bestialische Art umbrachte. Er hatte keine Geldspur gefunden, und niemand hatte von Neuankömmlingen in der Gegend gehört.
Charles lehnte seinen Kopf nach hinten und seufzte. Wenn er und Julian nur Raouls Leichnam gefunden hätten, dann würden ihn jetzt nicht diese Fragen quälen. Raoul war zweimal
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