Wogen der Liebe
schicken sie mich auf die Bäume, um Zapfen oder Obst zu pflücken.«
»Hier wachsen Obstbäume?«, staunte Viviane.
»Nicht sehr viele. Gunnardviga hat mehrere Apfelbäume pflanzen lassen. Die haben die Männer von einer Fahrt mitgebracht. Meist sammeln wir Pilze und Beeren, davon gibt es genug im Wald.«
»Ich war noch nie in einem richtigen Wald.«
Verständnislos starrte Raudaborsti Viviane an. »Du warst noch nie im Wald? Wie kann das sein?«
»Weil es bei uns auf der Insel keinen Wald gab. Im Inneren wuchsen kleine verkrüppelte Eichen, in den Senken wucherte Farn. Dort gab es viele Wildschweine, und der Fürst, dem die Insel gehörte, kam manchmal zum Jagen. Es war eine Mutprobe für unsere Männer, heimlich ein Wildschwein zu erlegen. Es war verboten, und wer erwischt wurde, dem drohte der Tod.«
Raudaborsti nickte ernsthaft. »Das ist hier auch so. Nur die freien Männer dürfen jagen. Sogar Björgolf Einbein geht noch auf die Jagd. Aber man erzählt sich, dass seine Männer das Wildschwein schon halb totstechen und es so vor Björgolfs Speer treiben.« Raudaborsti kicherte. »Dann loben sie ihn, was für ein mutiger Jäger er ist.«
»Wie hat er sein Bein verloren?«
»Auf einer Fahrt. Er ist sehr stolz darauf, dass es im Kampf geschehen ist.«
»Und nun fährt sein Sohn auf Víking.«
»Sehr zum Leidwesen von Yngvar, seinem Bruder. Er ist jünger als Thoralf, und Björgolf hat bestimmt, dass Yngvar daheim bleiben muss, um den Hof zu bewirtschaften. Aber immer, wenn Thoralf heimkommt, wird er gefeiert als großer Held. Seine Schiffe sind immer voll mit Beute. Yngvar verrichtet auch seine Arbeit, aber niemand lobt ihn.«
»Ist er deshalb neidisch auf Thoralf?«
Raudaborsti schüttelte den Kopf. »Zumindest zeigt er es nicht. Dabei ist er viel freundlicher zu uns als Thoralf. Für den sind wir nur schmutzige Wichte.«
»So siehst du allerdings auch aus.«
»Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn man nicht beachtet wird. Das wirst du schon noch merken.«
Viviane hatte alles aufgegessen und wischte mit dem restlichen Brot die Schüssel aus. Sie war satt und wurde plötzlich müde. Sie gähnte herzhaft.
Raudaborsti deutete auf eine Strohschütte in der Ecke. »Da liegt eine Decke. Leg dich schlafen. Ich glaube, heute vermisst dich niemand.«
Vorsichtig streckte Viviane sich aus, dann zog sie die löcherige Decke bis über die Ohren. Von fern hörte sie die lauten Stimmen, Lachen und den Gesang der Männer, dazwischen das Kreischen der Frauen. Es ging hoch her bei der Feier. Ein neues Fass mit Bier wurde gerade geöffnet. Doch von alldem bekam Viviane nichts mehr mit. Der Schlaf überfiel sie augenblicklich mit der Schwere eines Felsblocks.
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Die Braut
D as Fest dauerte eine ganze Woche. Es wurde nicht nur gegessen und getrunken, gesungen und erzählt. Skalden, die von Björgolf eingeladen worden waren, unterhielten die Gäste mit Musik auf Flöten und Leiern, trugen lange Gedichte vor, die von Göttern und Helden handelten, priesen ihre Gastgeber und wussten auch viele Neuigkeiten von anderen Fürstenhöfen zu berichten. Die Zeit zwischen den Mahlzeiten vertrieben sich die meisten mit Spielen. Auf verzierten Brettern wurden kleine, aus Walrosszahn geschnitzte Figürchen hin und her geschoben. Andere würfelten, gewannen oder verloren. Auch im Freien gab es Spiele und Belustigungen. Mit Pfeil und Bogen wurde auf geflochtene Strohscheiben geschossen, die Männer übten sich in Scheinkämpfen mit stumpfen Waffen, im Speerwerfen auf ein bestimmtes Ziel, das aus ineinanderliegenden Ringen aus geflochtenem Stroh bestand. Sogar die Kinder hatten ihren Spaß beim Bogenschießen, Ballspielen und bei Wettfahrten mit kleinen, aus Holz geschnitzten Schiffen.
Ragnvald stand neben Björgolf auf der Wiese vor dem Gehöft, und beide verfolgten den Wettkampf ihrer Söhne. Thoralf trat gegen Hoskuld an, Yngvar gegen Sven, den hochgewachsenen Freund und ständigen Begleiter Hoskulds. Angefeuert von den Zuschauern kämpften sie verbissen, zunächst im Ringstechen, im Zielschießen mit Pfeil und Bogen, im Geschicklichkeitsreiten und zum Schluss im Ringkampf. Hinter den beiden Wikingerfürsten drängten sich die Frauen. Auch Gunnardviga gehörte zu den Zuschauern. Immer wieder warf Thoralf ihr einen Blick zu. Während die anderen die Kämpfer lautstark anfeuerten, blieb Gunnardviga still. Mit ausdruckslosem Gesicht verfolgte sie die Kämpfe, als wären sie nicht nur ein Spiel.
Thoralf gewann gegen
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