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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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eines fest, nämlich dass der Mann schuldig war. »Aber er ist doch verurteilt worden. Wie ...?«
    »Das kann ich dir auch nicht beantworten, da musst du ihn fragen.«
    Julia konnte sich nicht von der Stelle rühren.
    Schließlich legte Ellie ihr die Hand auf den Arm und sagte: »Ich kann alleine reingehen und ihm sagen, dass ich dich nicht erreicht habe.«
    »Nein.«
    Als Julia in die eiskalte Nacht hinaustrat, gab sie sich alle Mühe, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Vielleicht hätte sie sich nach einer Zeit damit abfinden können, Alice an eine liebevolle Familie zu verlieren. Aber George Azelle! »Ein Mörder!«, murmelte sie mehrfach ungläubig auf dem Marsch über den Parkplatz und die Treppe hinauf, wobei sie sich an die Fakten des Prozesses zu erinnern versuchte. In erster Linie war ihr im Gedächtnis geblieben, dass die Geschworenen den Mann für schuldig befunden hatten.
    Riesige Schneeflocken segelten gemächlich vom Nachthimmel herab und glitzerten in den Lichtkegeln der Straßenlaternen und Fenster.
    Auf der Wache war es still.
    Julia blinzelte und wartete, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnten. Der Hauptraum schien größer als sonst, aber das rührte wahrscheinlich daher, dass sie ihn in erster Linie von den Pressekonferenzen kannte. Cal saß mit Kopfhörern an seinem Schreibtisch, Peanut stand neben ihm. Beide sahen Julia mit sorgenvoller Miene entgegen.
    Ellies Schreibtisch war leer, auch der Stuhl davor.
    »Er ist in meinem Büro«, erklärte Ellie.
    »Oh.«
    Ellie sah erst zu Peanut, dann zu Cal. »Ihr beiden bleibt bitte hier.«
    Peanuts Augen füllten sich mit Tränen. »Wir wollen es auch gar nicht hören.«
    Cal nickte und griff nach Peanuts Hand.
    Seite an Seite durchquerten die Schwestern den Hauptraum, passierten die beiden offenen, leeren Arrestzellen und kamen schließlich zu der Tür mit dem Messingschild: POLIZEICHEF.
    Ellie ging vor und begrüßte den Mann, der ihr mit heiserer, tiefer Stimme antwortete.
    Julia holte tief Luft und folgte ihrer Schwester.
    Natürlich gab es noch andere Dinge in dem Raum, die Julia hätten auffallen können, aber sie hatte nur Augen für George Azelle.
    Auf der Straße oder in einer Menschenmenge hätte sie ihn vielleicht gar nicht erkannt, doch als sie ihn da sitzen sah, erinnerte sie sich sofort wieder an ihn. Groß, dunkel, tödlich. So hatte die Presse ihn beschrieben, und es fiel nicht schwer, zu verstehen, warum. Er war über einsachtzig groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein Gesicht war kantig und gut geschnitten, wirkte allerdings irgendwie finster - als könnte es schnell zornig werden. Die schwarzen, von grauen Strähnen durchzogenen Haare reichten ihm fast bis auf die Schultern, und obwohl er im Augenblick ziemlich mitgenommen wirkte, besaß er eine Ausstrahlung, die eine Frau leicht zum Träumen brachte.
    »Sie sind Psychologin?«, fragte er anstelle einer Begrüßung. Er sprach mit einem leichten Akzent, einer Dehnung der Silben, die Julia an Louisiana und die Bayous erinnerte, an schwüle, dekadente Orte, an Gespräche nach Mitternacht. »Ich möchte Ihnen für alles danken, was Sie für mein kleines Mädchen getan haben. Wie geht es ihr?«
    Julia machte einen schnellen Schritt nach vorn, beinah ruckartig, und streckte die Hand aus. Sein Händedruck war fest, vielleicht ein bisschen fester als nötig.
    »Und Sie sind also der Mörder«, sagte sie und zog die Hand zurück. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, seine Berührung ungeschehen zu machen. »Sie sind wegen Mordes verurteilt worden, wenn ich mich recht erinnere.«
    Sein Lächeln verblasste. Er griff in die Gesäßtasche seiner Jeans, zog einen Umschlag heraus und warf ihn auf Ellies Schreibtisch. »Um eine extrem lange Geschichte kurz zu machen - das Berufungsgericht hat die Ablehnung des Klageabweisungsantrags widerrufen. Aus Mangel an Beweisen. Der Oberste Gerichtshof hat zugestimmt. Ich bin letzte Woche entlassen worden.«
    »Aufgrund einer Formsache.«
    »Wenn sie meine Unschuld als Formsache bezeichnen wollen, ja. Ich bin eines Tages nach Hause gekommen, und meine Familie war verschwunden.« Seine Stimme versagte. »Ich habe nie herausgefunden, was mit ihnen geschehen ist. Die Cops sind einfach zu dem Schluss gelangt, dass ich ein Mörder bin, und das war‘s dann. Alle anderen Beweise wurden schlichtweg ignoriert.«
    Darauf wusste Julia keine Antwort. Verzweifelt versuchte sie, ihre Gefühle außen vor zu lassen, aber die Panik saß ihr im Nacken.

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