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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Morgen war sie wieder wach, bereit zum Weitermachen. Sie rief Ellie an, um ihr mitzuteilen, dass sie den Tag wahrscheinlich im Krankenhaus verbringen würde, und begab sich erneut an ihre Arbeit.
    Als das Mädchen endlich aufwachte, war Julia topfit. Mit einem entspannten Lächeln begann sie wieder zu reden. Dabei sorgte sie dafür, dass in ihrer Stimme Akzeptanz und Fürsorge mitschwangen, damit der Sinn klar war, auch wenn das Mädchen die einzelnen Worte vielleicht nicht verstand. Stunde um Stunde redete sie, vom Frühstück bis zum Mittagessen. Beide Mahlzeiten blieben unangetastet. Bis zum späten Nachmittag waren zwei Dinge unbestreitbar: Julia war erschöpft, und das Mädchen musste Hunger haben.
    Ganz langsam ging Julia zu der Kiste hinüber, die tags zuvor gebracht worden war. Sie achtete sorgfältig darauf, keine abrupten Bewegungen zu machen, und redete dabei gleichmäßig und ruhig weiter, als wäre das Schweigen des Mädchens das Normalste der Welt. »Wollen wir uns mal die Sachen hier ansehen? Vielleicht gefällt dir ja etwas davon.« Sie öffnete die Kiste. Ein kleiner grauer Plüschwolf lag ganz oben auf einigen anderen Stofftieren und einem Stapel zusammengefalteter Kleidung. Julia nahm ihn in die Hand und machte sich daran, die nächste Schachtel auszupacken. »Die Einwohner von Rain Valley haben dir lauter schöne Sachen bringen lassen, weil sie sich Sorgen um dich machen. Bestimmt machen sich deine Eltern auch Sorgen. Vielleicht haben sie dich verloren. Das wäre nicht deine Schuld, weißt du, niemand ist deshalb sauer auf dich.«
    Dann sah sie sich nach dem Mädchen um, das jetzt aufrecht und völlig still auf der Matratze saß und an Julia vorbeistarrte.
    Das Fenster. Auf einmal merkte Julia, dass die Kleine den Blick nicht vom Fenster abgewandt hatte. Obwohl man nicht viel von der Außenwelt sah, konnte man wenigstens ein Stückchen blauen Himmel und die grüne Spitze eines Tannenzweigs erkennen. »Du überlegst, wie du von hier verschwinden kannst, richtig? Ich würde dir gern helfen, nach Hause zu kommen. Würde dir das gefallen?«
    Keine Reaktion. Nicht einmal auf nach Hause.
    Julia zog ein dickes Buch aus dem Regal und ließ es auf den Boden fallen. Mit einem lauten Knall schlug es auf.
    Das Mädchen zuckte zusammen, ihre Augen weiteten sich. Einen Herzschlag lang sah sie Julia an, dann flitzte sie in die Ecke und kauerte sich dort wieder zusammen.
    »Du kannst also hören. Gut zu wissen. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, ob du mich verstehst. Hörst du Worte oder Laute, kleines Mädchen?« Behutsam näherte sie sich dem Kind. Dabei wartete sie die ganze Zeit auf ein Flackern in den Augen, an dem sie sehen konnte, dass das Kind ihre Annäherung zur Kenntnis nahm. Nichts dergleichen geschah, aber als Julia noch ungefähr zweieinhalb Meter entfernt war, blähten sich die Nasenflügel der Kleinen, und ein leises Wimmern kam aus ihrem Mund. Die Anspannung ihrer ineinander verschränkten Finger ließ die gebräunte Haut fast weiß erscheinen.
    Sofort blieb Julia stehen. »Das ist nahe genug, ja? Ich mache dir Angst. Eigentlich ist das gut. Du reagierst ganz normal auf die fremde Umgebung.« Langsam bückte sie sich, hob das Plüschtier auf und warf es dem Mädchen zu. Es landete direkt neben ihr. »Manchmal fühlt man sich besser, wenn man ein weiches Kuscheltier im Arm hat. Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich einen rosaroten Teddy namens Tink. Den hab ich überallhin mitgenommen.« Damit ging sie zurück zum Tisch, stellte die Kiste auf den Boden und setzte sich wieder.
    Kurz darauf klopfte es an der Tür. Sofort verkroch sich das Mädchen noch weiter in die Ecke und kauerte sich zusammen, so klein wie möglich.
    »Das ist bloß dein Essen. Ich weiß, es ist ein bisschen früh, aber du hast bestimmt Hunger. Ich gehe nicht raus, während du isst, nur dass du das weißt.« Sie machte die Tür auf, dankte der Schwester, nahm ihr das Tablett ab und kam zurück zum Tisch.
    Mit einem Klicken fiel die Tür ins Schloss. Julia und das Kind waren wieder allein.
    Während Julia das Essen auspackte, hielt sie die Konversation ununterbrochen aufrecht. Nichts allzu Persönliches oder Spannendes, einfach nur Worte, jedes davon eine Einladung, die ungeöffnet zurückkam. Schließlich schob sie die Schachtel beiseite. Auf dem Tisch stand jetzt eine Auswahl kinderfreundlicher Speisen. Makkaroni mit Käse - aus der Packung, wie viele Kinder es am liebsten mögen; Donuts mit Zuckerglasur, Brownies,

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