Wohin das Herz uns trägt
heißt, dass Sonnenhaar die Zauberbilder aufschlagen und reden wird, reden und reden.
Mädchen liebt das. Den Klang von Sonnenhaars Stimme, aber auch, dass sie Mädchen so nahe bei sich sein lässt, die Geborgenheit, wenn Mädchen sich neben ihr zusammenrollt.
»Kommherälliss.«
Mädchen schlängelt sich von den Pflanzen weg und versucht, so klein und still wie möglich zu sein, für den Fall, dass sie wirklich etwas Böses getan hat. Sie wünscht sich so, Sonnenhaar würde wieder das Glücksgesicht machen. Dann fühlt sich Mädchen immer ganz leicht. Sie hält den Kopf gesenkt und vermeidet ihren Blick. Vor Sonnenhaars Füßen fällt sie auf die Knie.
Die Berührung auf ihrer Stirn ist sanft und zart. Mädchen blickt auf.
»Eswirdnichtleichtwerdenälliss.« Sie seufzt. »Vertraumirbitteja?«
Mädchen weiß nicht, was sie tun soll, wie sie Sonnenhaar ihre Bereitschaft zeigen soll, gut zu sein. Ein kleiner Laut entfährt ihr.
»Estutmirleid.« Sonnenhaar fasst in eine Schachtel, die auf dem Boden steht und holt Es heraus.
Für den Bruchteil einer Sekunde ist Mädchen starr vor Schreck. Sie blickt sich hektisch im Zimmer um. Jeden Moment kann Er in diesen viel zu hellen Raum hereinstürmen! Voller Entsetzen weicht sie zurück.
Schließlich schreit sie. Wenn sie damit einmal anfängt, kann sie nicht so schnell wieder aufhören. Sie weiß, das ist falsch. Böse. Dumm, so viel Lärm zu machen, denn dann kommen die Fremden und tun ihr weh. Aber Regeln kümmern sie nicht mehr, sie kann auch nicht mehr denken. Auf einmal stößt sie gegen einen von den Babybäumen, und er fällt um, knallt seitlich auf den Boden.
Sie schreit weiter, schnappt nach Luft, versucht wegzukommen, aber die weiße Höhlenwand hält sie zurück. Sie schlägt mit dem Kopf dagegen und spürt den Schmerz bis ganz hinten.
Sonnenhaar spricht mit ihr, reiht Laute aneinander, so schön wie Muscheln, aber Mädchen hört sie nicht richtig. Ihr Herz schlägt so rasend schnell, und Es ist immer noch da, dort in Sonnenhaars Hand.
Als Es näher kommt, fängt Mädchen an, sich zu kratzen, bis Blut kommt.
Jetzt ist Sonnenhaar bei ihr und hält Mädchen so fest, dass sie sich nicht kratzen kann.
»Okayokayokay. Ichweißdassduangsthast. Aberdubrauchst-keine-angsthaben. Allesistgut.« Endlich dringt Sonnenhaars Stimme zu ihr durch.
Das Schreien lässt nach. Mädchen atmet schwer und schnell und versucht stark zu sein, aber sie hat so viel Angst.
Sonnenhaar lässt sie los. Langsam, als wäre sie diejenige, die Angst hat, hebt die schöne Frau Es auf.
Mädchen reißt die Augen auf. Ihr ist übel, sie ist verzweifelt. Die Luft im Zimmer wird dunkel, alles riecht nach Rauch und Blut.
Im Licht glitzert Es. Mädchen schließt die Augen, erinnert sich an Seine dunklen, haarigen Finger, die die Fäden flechten ..., die Zweige biegen ..., die Perlen auffädeln. Sie wimmert.
»Alliss. Alliss.«
Die Hand auf ihrer Wange ist so sanft, dass sie zuerst denkt, sie hat es sich nur eingebildet ... und dass Sie zurückgekommen ist.
»Ällissmachdieaugenauf.«
Die Berührung tut so gut. Sie kann wieder atmen. In ihrer Brust wird das Herz allmählich langsamer.
»Aliesistgutälliss. Machdieaugenauf.«
Nach und nach erkennt Mädchen vertraute Laute in dem Durcheinander von Klängen. Sie rütteln an ihrer Erinnerung, lassen sie an eine Zeit denken, die so lange vorbei ist, dass sie sich in Nebel auflöst, wenn sie danach greift. Langsam öffnet sie die Augen.
Sonnenhaar rückt ein Stückchen weg. »Dasisteintraumfänger«, sagt sie, jetzt ohne zu lächeln. »Soeindingkennstdu.«
Traumfänger.
Sie spürt, wie ihr Bauch anfängt zu zittern.
Aber da bricht Sonnenhaar mit einer einzigen fließenden Bewegung den Traumfänger in der Mitte durch, reißt die Fäden entzwei, dass die Perlen durch die Gegend fliegen und über den Boden kullern.
Mädchen schnappt nach Luft. Oneinoneinonein. Das ist schlimm. Jetzt wird Er kommen, und Er wird ihnen beiden wehtun.
Sonnenhaar greift in die Kiste und holt noch einen heraus. Auch ihn bricht sie in Stücke und wirft ihn weg.
Ehrfürchtig sieht Mädchen ihr zu. Sonnenhaar macht noch einen kaputt, und noch einen. Sie nimmt etwas vom Tisch und knallt es auf die Stücke, die vor ihr liegen. Schließlich lächelt sie wieder und streckt Mädchen einen Traumfänger hin. »Machihnkaputt. Nur keine Angst. Keine Angst.«
Mädchen versteht. Sonnenhaar möchte, dass sie Sein Spielzeug kaputtmacht.
Aber Er wird ihr wehtun.
Er ist nicht
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