Wohin der Wind uns trägt
wurde.«
Jo konnte den Ausdruck nicht deuten, der kurz über sein Gesicht huschte.
Kurt trat die Zigarette aus und warf die Kippe in einen Sandeimer. Schon nahm er die nächste aus der Tasche.
»Ja, die gute alte Zeit«, seufzte er. »Das Leben ändert sich, man zieht weiter, und nun bin ich hier und habe Besuch von der Tochter meines alten Kumpels, die ein Fotomodel ist.«
Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen, allerdings ohne sie anzuzünden.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen ein paar unserer Jährlinge. Wie ich gehört habe, haben Sie sich gut mit Mr Compton unterhalten.«
Jo nickte lächelnd. So entspannt fühlte sie sich inmitten der vertrauten Gerüche und Geräusche, dass sie sich nicht verschloss, als Kurt sich nach ihrer Modelkarriere erkundigte. Stattdessen gab sie ein paar lustige Anekdoten aus Europa zum Besten und gestand schließlich, dass sie sich insgeheim danach sehnte, wieder mit Pferden zu arbeiten. Als sie über die Kingsford Lodge und ihre Familie sprach, wurde sie von heftigem Heimweh ergriffen. Schließlich war es Zeit zum Abschied, und da Jo kein Vorwand für einen erneuten Besuch einfiel, nahm sie all ihren Mut zusammen.
»Kann ich morgen wiederkommen?«, fragte sie, ein wenig atemlos. »Wenn ich darf, helfe ich auch beim Ausmisten oder als Mädchen für alles …«
»Natürlich können Sie. Besuchen Sie uns, so oft Sie wollen. Ich habe nichts dagegen, dass ein hübsches Mädchen ein bisschen frischen Wind in die Bude bringt«, erwiderte er.
Jo nahm Kurt beim Wort und lieh sich Onkel Charlies altes Auto aus. Am nächsten Morgen machte sie sich schon vor Tagesanbruch auf die einstündige Fahrt und traf rechtzeitig in Stockenham Park ein, um bei der Versorgung der von der Bahnarbeit zurückkehrenden Pferde zu helfen.
In der nächsten Woche schaffte sie es noch zweimal, den Ställen einen Besuch abzustatten. Es machte ihr Spaß, die Boxen auszumisten, Sattelzeug zu pflegen und andere Aufgaben zu erledigen. Dabei überlegte sie die ganze Zeit, wie sich die Rückkehr nach Paris wohl hinauszögern ließe. Kurt begegnete sie zwar nicht häufig, doch hin und wieder ertappte sie ihn dabei, wie er sie im Vorbeigehen ansah, wenn sie gerade ein Pferd in die Box führte oder es nach dem Wälzen in der großen runden Sandkuhle striegelte.
Die tief stehende Wintersonne war bereits hinter den Bäumen untergegangen, und die Pfützen froren zu, als Jo sich am Ende ihres dritten Besuchstages widerstrebend von den Pferden losriss und sich auf die Suche nach Kurt machte. Sie wollte sich dafür bedanken, dass er sie in den Ställen arbeiten ließ. Sie traf ihn in seinem Büro an, wo er gerade einige Papiere durchsah.
»Ich habe Sie beobachtet. Sie sind fleißig und tüchtig und lieben offenbar Pferde«, meinte er nachdenklich auf dem Weg zu ihrem Auto. »Eine junge, engagierte Mitarbeiterin wie Sie könnten wir gut gebrauchen. Eines unserer Mädchen hat vor zwei Wochen gekündigt, und ich suche seit einiger Zeit nach einer zuverlässigen Nachfolgerin. Sie hätten nicht zufällig Lust, das Modellstehen aufzugeben und stattdessen zu uns nach Stockenham Park zu kommen? Die Bezahlung ist zwar, offen gestanden, nicht so gut wie für das Hin- und Herstolzieren auf dem Laufsteg, aber wenn ich Sie mir so ansehe, bin ich sicher, dass Sie hier glücklicher wären.«
Er lachte. Jo errötete und wollte die Autotür aufschließen. Im nächsten Moment wirbelte sie herum.
»Habe ich Sie richtig verstanden? Haben Sie mir gerade einen Job angeboten?«, erkundigte sie sich unsicher.
Kurt nickte.
»Sie würden als Hilfspferdepflegerin anfangen, doch bei Ihrer Erfahrung würden Sie bestimmt bald aufsteigen«, brummte er. Wieder blickten sie seine Augen seltsam an.
Jo schluckte.
»Kann ich es mir bis morgen Früh überlegen?«, fragte sie zögernd.
»Kein Problem. Es war schön, Sie kennenzulernen. Richten Sie Ihrem Dad Grüße von mir aus«, entgegnete Kurt aalglatt, doch die Muskeln seines Kiefers zuckten kaum merklich.
»Du hast doch schon den ganzen Abend etwas auf dem Herzen. Willst du mir dein Geheimnis nicht endlich verraten?«, drängte Emma, als sie, in dicke Daunendecken gekuschelt, auf ihrem Bett saßen. Durch das kleine Fenster strömte Mondlicht herein.
»Ich gehe nicht nach Paris zurück. Man hat mir eine Stelle in Stockenham Park angeboten, und ich werde sie annehmen«, verkündete Jo, und die violetten Augen leuchteten aus ihrem ovalen Gesicht. – »Was?« Emma war entsetzt.
»Den ganzen
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