Wohin die Liebe führt
war, kam es mir immer vor, als denke er an nichts anderes als an mich. Bei Onkel Sam war das anders. Er gab sich schrecklich Mühe, aber oft war ich doch nur eines der vielen Dinge, an die er zu denken hatte. Aber ich mochte ihn sehr gern. Und eines Tages war auch er weggegangen. Ich erinnere mich an den Tag.«
Dani schwieg und sah auf die qualmende Zigarette zwischen ihren Fingern.
»Sprich nur weiter, Dani«, bat die Psychologin. »Du erinnerst dich an diesen Tag. Was war geschehen, daß du ihn dir besonders gemerkt hast?«
Der blauweiße Wagen mit der zierlichen Aufschrift Miss Randolph ’s School an der Tür bog in die Einfahrt und hielt. Der Fahrer in seiner hübschen grauen Uniform stieg aus und öffnete die Tür. Dani flog förmlich aus dem Wagen, ihr langes schwarzes Haar flatterte hinter ihr her, die weiße Bluse und der blaue Faltenrock leuchteten im Sonnenlicht. Sie lief schnell die Stufen zur Haustür hinauf.
»Ich wünsch Ihnen ein nettes Wochenende, Miss Dani!« rief ihr der Fahrer nach.
»Ich Ihnen auch, Axel!« Sie lächelte ihm von der Haustür aus strahlend zu. Sie warf ihre Bücher auf den Tisch in der Halle und lief, ihr Zeugnis in der Hand, in großen Sprüngen die Treppe hinauf, den Korridor entlang zum Atelier.
Dort riß sie die Tür auf und lief hinein. »Mutter, Mutter«, rief sie, »ich habe einen Einser in Kunst!«
Sie war, das Zeugnis noch hoch in der Hand, bis in die Mitte des Ateliers gelaufen, ehe sie merkte, daß niemand da war. Sie ging zu dem kleinen Zimmer hinter dem Atelier.
Die Tür war zu. Sie klopfte an. »Mutter, Mutter, bist du da drin?« Keine Antwort.
Vorsichtig machte sie die Tür auf und sah hinein. Das Zimmer war leer. Langsam schloß sie die Tür. Sie war betroffen. Um diese Tageszeit arbeitete ihre Mutter sonst immer.
Sie ging zurück ins Foyer, nahm ihre Bücher vom Tisch und wollte die Treppe hinaufgehen. In diesem Augenblick kam Charles aus Onkel Sams Zimmer. »Guten Tag, Miss Dani.«
Sie sah zu ihm auf. »Wo ist Mutter?«
Der Diener machte ein verlegenes Gesicht. »Sie ist ausgegangen, Miss Dani.«
»Hat sie gesagt, wann sie zurückkommt?« Dani hielt das Zeugnis hoch. »Ich hab’ nämlich einen Einser in Kunst. Den möcht ich ihr zeigen.«
»Das ist ja herrlich, Miss Dani«, sagte der Diener freundlich. Dann änderte sich sein Ton. »Madame hat nicht gesagt, wann sie zurückkommt.«
»Oh!« Dani war enttäuscht. Sie wollte in ihr Zimmer gehen, blieb aber stehen und sah sich um. »Lassen Sie mich’s wissen, wenn sie heimkommt, Charles. Ich möchte zu ihr.«
»Natürlich, Miss Dani.«
Mrs. Holman hängte gerade ein paar Kleider in den Schrank, als Dani in ihr Zimmer trat. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie das Kind sah. »Da bist du ja. Ich war schon so gespannt. Nun, wie ist’s?«
Dani strahlte. »Was denkst du?«
»Laß mich’s sehen«, sagte die Bonne. »Ich kann’s nicht erwarten.«
Übermütig versteckte Dani das Blatt hinter ihrem Rücken. »Nein, ich zeig’s dir nicht, Nanni, ehe du dein Versprechen hältst.«
»Ich hab’ den Kuchen schon gebacken.«
»Fein - dann darfst du!« Dani hielt ihr das Zeugnis hin.
»Ich muß erst meine Brille holen!« sagte Mrs. Holman. »Ich bin so aufgeregt, daß ich’s gar nicht lesen kann.«
Sie fand die Brille in ihrer Kitteltasche und setzte sie auf. Dann sah sie schnell das Blatt an. »Oh, Dani«, rief sie, »einen Einser in Kunst!«
Sie zog Dani an sich. »Da bin ich aber stolz auf dich«, sagte sie herzlich. Sie küßte Dani auf die Wange. »Und wie stolz wird deine Mutter sein, wenn sie das sieht!«
»Wo ist Mutter denn? Sie war nicht im Atelier.«
Im Gesicht der Bonne erschien jetzt der gleiche Zug von Verlegenheit, der Dani vorhin an Charles aufgefallen war. »Deine Mutter mußte plötzlich beruflich verreisen. Sie wird am Montag wieder dasein.«
»Soooo...?« Die Mutter hatte in letzter Zeit mehrmals am Wochenende ganz unvermutete Reisen gemacht. Dani nahm das Blatt wieder an sich. »Hoffentlich ist sie rechtzeitig zurück, um das Zeugnis zu unterschreiben. Ich muß es Montag wieder abgeben.«
»Sicher wird sie rechtzeitig zurück sein. Aber weißt du, jetzt gehen wir wieder in die Küche und lassen uns von Cookie die Milch und unseren Kuchen geben - was meinst du? Und machen zu dritt eine kleine Party?«
Dani sah die alte Frau an. Sie war enttäuscht. Immer nur Partys mit Nanny. Wie nett hätte es sein können, wenn zur Abwechslung Mutter einmal mit
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