Wohin die Liebe führt
»Ich möchte mich für meine Klientin entschuldigen. Diese ganze schreckliche Angelegenheit hat sie völlig außer Fassung gebracht.«
»Ich verstehe, Mister Gordon.«
»Ich habe eine Abschrift der Scheidungsakten in meinem Büro. Wenn es Ihnen beliebt, zu irgendeiner Zeit vorbeizukommen, werde ich sie für Sie bereithalten.«
»Besten Dank, Mister Gordon.« Miss Spicer stand auf. »Ich glaube, das ist alles für heute.«
Wir gingen zur Tür. Zuerst die alte Dame, dann Gordon und ich. Die Bewährungshelferin rief mich zurück. »Colonel Carey, darf ich Sie noch einen Augenblick bemühen?«
Ich kehrte um und trat zu ihr. »Ja, Miss Spicer?«
Sie lächelte ein wenig. »Ich bin froh, daß Sie hierbleiben, Colonel. Ich bin überzeugt, Dani ist darüber sehr glücklich. Sie hat sich große Sorgen gemacht, ob es Ihnen wohl möglich sein wird.«
»Es ist das wenigste, was ich tun kann. Sogar einem völlig Fremden würde es wohl schwerfallen, ein Kind in solchen Stunden zu enttäuschen.«
Sie sah mich einen Augenblick sonderbar an, dann senkte sie die Augen. »Wahrscheinlich, Colonel.«
Im Fond ihres Wagens wartete meine ehemalige Schwiegermutter auf mich und winkte mir zu. Ich ging zu ihr. »Wo ist Nora?« fragte ich.
»Fort«, antwortete sie. »Sie war schon weggefahren, als ich herauskam.« Sie blickte die Straße entlang. »Wo hast du geparkt?«
»Ein paar Blocks weiter unten.«
»Steig ein. Ich bringe dich hin.«
Ich stieg ein. Der große Rolls-Royce schob sich majestätisch in den Straßenverkehr. »Hast du Sam Corwin angerufen?«
»Nein. Ich wollte es nachmittags tun.« Ich sah finster zum Fenster hinaus.
»Du bist deprimiert«, bemerkte sie etwas gezwungen. »Hat Miss Spicer dir etwas gesagt, das wir nicht hören sollten?«
Ich sah sie an. »Nein. Aus welchem Grund sollte sie? Sie sagte nur, daß Dani froh sein wird, wenn sie erfährt, daß ich bleibe.«
»Ach so. Und weiß es deine Frau schon?«
»Nein.«
»Meinst du, es wird sie aufregen?« Die alte Dame wartete meine Antwort nicht ab. »Wie dumm ich bin! Natürlich muß es sie aufregen. Mich hätte es bestimmt aufgeregt. Ein Baby zu erwarten, das jeden Tag kommen soll, und allein zu Hause zu sein.«
Der große Rolls fuhr an die Bordschwelle. Das war nicht das einzige, dachte ich. Zum Beispiel die Frage, ob ich genug Geld hatte, um zu bleiben.
»Kann ich dir irgendwie behilflich sein? Vielleicht könnte ich mit ihr sprechen und ihr sagen, wie wichtig dein Hierbleiben ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich bin sicher, daß Elizabeth es versteht.«
Ich öffnete die Tür und stieg aus. Die alte Dame lehnte sich vor: »Bitte, ruf mich heute abend an. Laß mich wissen, ob du etwas erfahren hast.«
»Ja, ich rufe dich an.«
Ich sah ihren Wagen fortfahren, stieg in den meinen und fuhr zurück zum Motel.
Es war genau Mittag, als ich das Gespräch durchbekam.
»Hallo«, sagte ich, »hast du schon gegessen?«
»Natürlich«, antwortete sie. »Nun, wie ist alles gegangen?«
Ich fing an, ihr von der Verhandlung vor dem Untersuchungsrichter zu erzählen, aber sie unterbrach mich. »Das habe ich gerade alles in der Zeitung gelesen. Was hat man über Dani entschieden?«
Ich faßte mich, so kurz ich konnte. Dann berichtete ich ihr die Sache mit den Briefen. Als ich damit fertig war, schwieg sie.
»Elizabeth - hörst du mich?« fragte ich.
»Natürlich höre ich dich.« Ihre Stimme war sehr leise.
»Geht es dir gut?«
»Mir geht’s gut«, sagte sie, »nie im Leben ist mir’s bessergegangen. Ich nehme an, du wirst bis nächste Woche dort bleiben?«
Ich holte tief Atem. »Ich würde gern bleiben, wenn du einverstanden bist.«
»Was meinst du, was du dort noch ausrichten kannst?«
»Wenn ich jetzt wegfahre, wird Dani denken, ich lasse sie wieder im Stich.«
»Aber du hast sie doch nie im Stich gelassen«, sagte Elizabeth. »Hast du ihr das nicht erklärt?«
»Natürlich habe ich es ihr erklärt. Aber sie ist noch ein Kind. Ich glaube nicht, daß sie es auch nur halb verstanden hat.« Ich griff nach einer Zigarette. »Sie verläßt sich auf mich.«
»Das tue ich auch«, sagte Elizabeth. »Kannst du dir vorstellen, wie mir zumute ist? Wenn alle Nachbarn mich anglotzen und fragen, was du machst? Sie lesen die Zeitung, genau wie ich. Sie wissen, daß du sie jeden Tag siehst.«
Ich wußte, wen sie meinte. »Das ist doch einfach dumm!«
»Meinst du?« fragte sie. »Bist du dir sicher, daß Dani der einzige Grund ist, daß du dort
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