Wohin du auch fliehst - Thriller
bereits darin befand, war das ziemlich sinnlos. Ich hatte trotzdem Angst.
Ich zog mir eine Jeans und einen Pulli über, und während ich alles kontrollierte, um die Wohnung erneut zu verlassen, beschloss ich, die Besteckschublade auszulassen. Ich hatte sie noch ein letztes Mal kontrollieren wollen, um mich zu vergewissern, widerstand aber meinem inneren Drang. Um das wieder auszugleichen, konzentrierte ich mich umso mehr auf die Wohnungstür. Dass ich ein Sicherheitsverhalten durch ein anderes ersetzte, war bestimmt geschummelt, doch auch danach fühlte ich mich nicht groß besser.
Als ich im Bus saß, versuchte ich meine Angst zu bewerten und stellte fest, dass sie auf meiner Skala 40 Punke bekam. Das war gar nicht mal so schlecht, wenn man bedenkt, dass ich fast den ganzen Tag unter Anspannung stehe, stets nach ihm Ausschau halte und immer darauf warte, das irgendetwas Schlimmes passierte. Genau genommen fühlte ich mich besser als sonst, wenn ich am Wochenende ausging, obwohl ich weder das Badezimmer noch die Besteckschublade kontrolliert hatte.
Ich konnte kaum fassen, dass es wirklich funktionierte. Ich konnte kaum glauben, dass ich anfing, mich besser zu fühlen.
Ich fuhr mit dem Bus nach Camden, stieg in Camden Lock aus und bummelte durch die Geschäfte. Ich überlegte, in die Stadt zu fahren, vielleicht zur Oxford Street, doch das wäre wirklich beängstigend gewesen. Das hier war schon mal ein guter Anfang.
Ich wusste, wonach ich suchte, was ich kaufen wollte, und als ich es endlich in einem Vintage-Laden entdeckte, musste ich es einfach haben.
Es war aus roter Seide, ein einfaches Trägerhemdchen, so ähnlich wie das, das mir die arme Erin zu Weihnachten geschenkt hatte. Es hatte Größe 36. Ich sah es eine Weile an, spürte, wie mein Körper darauf reagierte. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und sofort die Flucht ergriffen. Es ist nur ein Oberteil , sagte ich mir. Zusammengenähter Stoff. Es wird mir nichts tun, es kann mir nichts tun.
Kurz darauf berührte ich es. Es war weich, sehr weich und erstaunlich warm, so als hätte es jemand gerade erst ausgezogen.
»Wollen Sie es anprobieren?« Ich drehte mich um und entdeckte ein zierliches Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren und knallblauen Strähnchen.
»Ich schau mich nur um, danke.«
»Das ist genau Ihre Farbe«, sagte sie. »Kommen Sie, es schadet doch nichts.«
Ich musste richtig lachen. Sie hatte gleich in mehrfacher Hinsicht recht. Ich nahm den Kleiderbügel und ging zur Umkleidekabine, einer kleinen Nische weiter hinten im Laden, vor der ein Baumwollvorhang hing, der an laut klappernden Ringen befestigt war. Mein Herz klopfte.
Denk nicht darüber nach. Tu es einfach.
Mit dem Rücken zum Spiegel streifte ich mir den Pulli über den Kopf. Dann nahm ich das Oberteil vom Bügel und zog es mir mit geschlossenen Augen über den Kopf. Mir war ein wenig mulmig und schummrig zumute, so als säße ich in einem Karussell. Du hast es getan! , sagte ich mir. Jetzt musst du nur noch die Augen öffnen und hinsehen .
Ich sah hin, nicht in den Spiegel, sondern an mir herab.
Der Farbton war anders als der des Kleides, er war rosafarbener und kirschrot statt scharlachrot wie das Kleid. Das Oberteil war herrlich weich, ein wirklich tolles Teil. Den Saum zierte ein Goldfaden.
Ich hatte genug. Ich zog es aus und hängte es auf den Bügel, dann schlüpfte ich wieder in meinen Pulli. Der Drang, mir die Hände zu waschen, war überwältigend. Ich hängte den Bügel zurück an den Ständer und verließ sofort das Geschäft, ehe die Verkäuferin noch etwas sagen konnte.
Weiter vorn stand eine Bank. Ich setzte mich für einen Augenblick, musterte die Passanten und dachte daran, wie verängstigt ich war, wartete, dass es wegging. Ich wusste durchaus, was ich tun musste, und der Gedanke daran hielt die Angst wach. Keine Ahnung, woher ich plötzlich den Mut nahm. Besonders mutig war ich in der Vergangenheit bestimmt nicht gewesen.
Als ich auf meiner Skala bei ungefähr dreißig Punkten war, stand ich auf und bummelte wieder von Geschäft zu Geschäft. Ich war beschäftigt, aber nicht beschäftigt genug, als dass mir die vielen Leute nicht doch Angst eingejagt hätten. Ich entdeckte einen Gewürzladen und kaufte ein paar mexikanische Gewürze für Stuart. Gleich daneben befand sich ein Secondhand-Bücherladen, ich stöberte eine Weile darin herum, blätterte in Romanen und Reiseführern, kurz sogar in Ratgebern.
Anschließend setzte ich mich in ein Café und
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