Wohin mit mir
Sein Fürst wünscht einen Abguß. Goethe erwirkt über Rat Reiffenstein die Erlaubnis, ist aber in Sorge: Da der Schädel im Grabe gelegen und gemodert hat, ist er mürbe und ich fürchte diese herrliche Religue leidet , schreibt er an Carl August. Dem Former wird alle Sorgfalt empfohlen und Sie werden große Freude haben den Abguß zu besitzen … Die Gewißheit, daß es Raffaels Schädel ist, nimmt er mit ins Grab. Erst 1833 wird die tatsächliche Ruhestätte im Pantheon gefunden, Raffaels Schädel und Skelett werden geborgen und neu gebettet.
Hier in der Nähe muß das Goethe-Denkmal sein, sagt die Freundin mit Blick auf die Karte. Ja, ein Geschenk des deutschen Kaisers Wilhelm II ., es ist abscheulich, erwidere ich, wir lassen es aus. Dann zur Piazzale dei Cavalli Marini, wir biegen in den gleichnamigen Viale ein, bewegen uns langsam – ich verzögere den Schritt immer wieder – die Viale Museo Borghese hinauf. Am Eingang des »Museo e Galleria Borghese« ein Schild: Kartenvorbestellung obligatorisch. Alle zwei Stunden
wird eine begrenzte Anzahl von Ticketinhabern eingelassen. Die Enttäuschung der Freundin.
Ich ziehe zwei Karten aus der Tasche. Vor Tagen habe ich mich danach angestellt. Die Langsamkeit auf der Viale hatte mit dem Zweistundentakt des Einlasses zu tun. Die weiten Fluchten der Räume. Wir stehen vor Tizians »Himmlischer und irdischer Liebe«. Vor Gian Lorenzo Berninis barocken Plastiken, dem »David mit der Schleuder«, dem »Raub der Proserpina«. Und vor »Apoll und Daphne«. Diese Skulptur habe ich schon oft durch eines der rückwärtigen, zur Gartenseite gelegenen Fenster betrachtet, denn nicht selten war das Endziel meiner Parkwanderungen der schöne Garten am Museo. Die Spanische Treppe. Zum Abschluß kehren wir in das berühmte Antico Caffè Greco in der Via dei Condotti ein.
11. Oktober
Drei Tage bleiben mir noch, dann reise auch ich nach Deutschland. Intensiv geschrieben.
14. Oktober
Roma Fiumicino Aeroporto. Mein Flug nach Düsseldorf ist auf der Tafel angezeigt.
Vorfreude auf das Kindeskind. Ich ziehe den kleinen Fuchs mit seinem buschigen roten Schwanz auf meinen Finger. Erinnerung, wie ich, als meine Söhne klein waren, alle unangenehmen Dinge, Verbote, Ermahnungen einer Handpuppe überließ, einem Dackel mit unendlich traurigen Knopfaugen. Als Großmutter kann ich mir leisten, mich auf heitere Dinge, Geschichten
erzählen und Späße zu konzentrieren. Im Gepäck habe ich vier kleine handgestrickte Fingerpuppen, einen Fuchs, einen Adler, einen Pudel und einen Storch.
20. Oktober
Rückflug.
Oktobertage in Bochum. Dort leben die drei für einige Monate, da das Engagement der Schwiegertochter am Schauspielhaus noch besteht. Da die Wohnung klein ist, übernachte ich im Hotel. Am ersten Morgen legt die junge Frau, die Frühstücksdienst hat, ein Buch vor mich hin, Zettel ragen heraus, sie blättert es auf, Unterstreichungen, Anmerkungen mit Bleistift. Es ist »Christiane und Goethe«. Sie schreibe ihre Magisterarbeit darüber. Ob sie etwas fragen dürfe. Selbstverständlich. Sie hat viele Fragen.
Die Schwiegertochter hat am Morgen Proben, am Abend Vorstellungen. Zum zweiten Mal sehe ich sie auf der Bühne. Vor Jahren in »Vatermord« von Arnolt Bronnen. Zu dem Stück, wie auch zum »Vater« von Sobol, hatte der Sohn das Bühnenbild gemacht. Jetzt erlebe ich sie als Polly in der »Dreigroschenoper«. Die Energie in diesem Persönchen. Sie muß auf ein hohes Gerüst steigen, dort singen. Macki Messers Schüsse fallen. Diese Rolle hat sie noch im achten Monat gespielt. Ich will es kaum glauben. (Später wird das Kind auf die Frage, welchen Beruf seine Mutter habe, zur erheiternden Verwunderung aller und es hartnäckig wiederholend, antworten: Lala peng . Er ist nicht von seinem Lala peng abzubringen. Die Erklärung: sein pränata
les Erleben im Mutterleib, das Singen und die Schüsse.)
Lange Arbeitsgespräche über unser Lappland-Buch, in der kleinen Wohnung, auf Spaziergängen. Das Kind ist immer bei uns. Erstmals erlebe ich meinen Sohn im Alltag als Vater: Füttern, windeln, Zubettbringen des kleinen Kerls. Ich bin ihm zur Seite, helfe. Was mich mit besonderem Glück erfüllt: Ich trage Noah auf dem Arm umher, und wir reden über unser Buch. War nicht stets mein Lebensmotto: die Kinder und die Arbeit. Hat sich mit dem Erwachsenwerden der Söhne nicht die Arbeit in den Vordergrund gedrängt? Mit dem Lappland-Projekt kommt diese Einheit zurück und schließt
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