Wohin mit mir
zudem noch das Kindeskind mit ein.
Wir nehmen unsere Gespräche mit einem Recorder auf, um Zuordnungen von Bild und Text für den Dritten im Bunde nachvollziehbar zu machen. Noahs Stimme, sein Weinen, Protestieren, Krähen und Juchzen sind auf dem Band zu hören.
Der letzte Abend: Der Sohn tippt zusammenfassend unsere Gedanken zur Konzeption des Buches in den Computer, während ich das Kind ins Bett bringe. Der Spaß mit den Fingerpuppen. Den Fuchs mit dem roten Schwanz mag Noah besonders.
23. Oktober
Besuch der Fotografin aus Hamburg. Der Verlag hat sie geschickt. Nun werden in Rom die Bilder entstehen, die im Juni innerhalb von zwei Tagen vorliegen sollten. Die Suche nach Orten außerhalb der Casa. Die schwere Fototasche. Sie läßt sie sich nicht abnehmen.
Wir laufen viel. Reden. Ihr neues Projekt: ein Experiment über das Miteinander von Generationen. Sie will mit dieser Arbeit auch ihren eigenen Wünschen für das Alter auf die Spur kommen. Nicht in Zweisamkeit mit dem viel jüngeren Mann, mit dem sie seit vielen Jahren glücklich ist, will sie alt werden, ihr schwebe eine Wohngemeinschaft vor.
Habe ich nicht in letzter Zeit ähnliche Gedanken gehabt? Bei mir waren sie stets an den engeren Familienkreis gebunden. Mein Verdacht, sie sind einem Mangel, meinem Alleinleben, geschuldet. Nicht ihre Kinder (drei erwachsene und mehrere Enkel hat sie), so gern sie mit ihnen zusammen sei, meine sie, sondern Gleichgesinnte, eine Gemeinschaft von Künstlern vielleicht. Und du, fragt sie. Warum lebst du ohne einen Liebsten? Ich habe keine Antwort darauf.
Am Abend mit Ursula Bongaerts im Teatro Valle. Goethes »Wahlverwandtschaften«. Das Leben war ihnen ein Rätsel, dessen Auflösung sie nur miteinander fanden. Eine Inszenierung von Stefan Bachmann, Jahrgang 1966, witzig, ironisch, doppeldeutig. Ich bin hingerissen.
24. Oktober
Anruf vom Verlag. Es geht um die Fernsehsendung »Wetten, daß«. Ein solcher Fernsehauftritt sei die größtmögliche Chance für das Buch. Ob ich dazu bereit wäre. Ich lache, halte es für einen Witz. Aber es ist ernst gemeint. Wird mit Nachdruck wiederholt. Ich glaube, sage ich, erstens nicht daran, daß dies eine Chance ist,
und zweitens mache ich mich nicht zum Clown. Ich lehne ab.
Als ich auflege und darüber nachdenke, werde ich zornig. Mein Schutzengel im Verlag scheint machtlos. Um mich zu beruhigen und es loszuwerden, erzähle ich es Frau Bongaerts. Sie sei unlängst im Vatikan bei einem Konzert gewesen, entgegnet sie, Kristof Penderecki habe es für den Papst gegeben. Thomas Gottschalk saß in der ersten Reihe, sämtliche Botschafter hätten ihn begrüßt, der Papst, der aufgestanden sei, um das Wort zu ergreifen, hätte warten müssen. So sei es heute, wir haben keine Könige mehr, dafür aber Medienstars.
Ich überlege, ob ich Unseld anrufen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er meine Ablehnung nicht verstehen würde. Da fällt mir ein, was er auf meinen Protest gegen den kitschigen, angeblich werbewirksamen Suhrkamp-Taschenbuchumschlag zu »Ich bin nicht Ottilie« entgegnete: Ihm gefiele er auch nicht, aber ich solle doch über meinen Schatten springen, er müsse das jetzt auch oft tun. Schon ihn im Rücken zu spüren, erleichtert mich.
Und bin ich nicht in Entzugsstrategien geübt? Plötzlich erscheint es mir nur noch ein schlechter Witz. Und ich lache.
25. Oktober
Die Unschuld des Erlebens.
In der Nacht träume ich von einem Mann; ich weiß sofort, er ist es. Mein Herz schlägt heftig, die Jahre des
Alleinseins fallen wie Steine von mir. Alles in mir ist Erwartung.
26. Oktober
Entschluß, mein Zimmer sauberzumachen. In drei Stunden ist alles geschafft. Ich gehe zu der alten Blumenfrau, die ihren Stand in einem Hausflur der Via di Ripetta hat. Kaufe, soviel ich tragen kann, Töpfe und Schnittblumen. Auf dem Rückweg begegnet mir die Reinemachefrau auf der Treppe. Ich lade sie zu meiner Lesung ein.
Am Abend Telefonat mit Joachim. Er ist erstmals allein mit dem Kind in Berlin. Er arbeite am Lappland-Buch, sagt er, und Noah habe die Fortbewegung auf allen Vieren entdeckt, in Windeseile krabbele er durch die Wohnung, nichts sei vor ihm sicher.
27. Oktober
Gestern Lesung aus »Christiane und Goethe« in der Casa. Ich war aufgeregt. War unzufrieden mit mir. Bettina redete es mir aus. Es sei alles in Ordnung gewesen. Danach ein Empfang. In der Bibliothek das kalte Büfett. Gedränge.
Fragen über Fragen. Wenige zum Text. Überwiegend
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