Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
möglichst großzügige, opulente Gastgeber zu gelten. Es wurde wesentlich für ihren finanziellen Status und verschaffte ihnen zudem ein beträchtliches Einkommen, da sie den straßenseitigen Teil des Erdgeschoßes als Büros und die oberen drei Stockwerke als Wohnungen vermieteten. Und es war die wichtigste Demonstration ihrer Suche nach dem besten modernen Wiener Design.
Für sich behielten Moriz und Hermine den repräsentativsten Teil des Gebäudes, den »Nobelstock« oder die Beletage im ersten Stock. Außerdem nutzten sie den hofseitigen Teil des Stockwerks darunter, die Wohnung war also ungewöhnlich groß, insgesamt mehr als 700 Quadratmeter. Die Wohnungen in den oberen drei Etagen waren ebenfalls geräumig, da Moriz und Hermine, statt – wie bei älteren Gebäuden üblich – diese Stockwerke in mehrere kleine Wohneinheiten aufzuteilen, in jedem nur eine einzige vorsahen. Damit stellten sie sicher, nur reiche Leute als Mieter zu bekommen.
Zusätzlich ließen sie zwei Garagen bauen, da sie als eine der ersten Familien in Wien zwei Autos besaßen, und das zu einer Zeit, in der bereits eines als Kennzeichen von Modernität und Reichtum galt. Gretl hatte bei ihrer Matura 1912 eine Halskette mit Diamant-Perlanhänger geschenkt bekommen und durfte nach Bayreuth mitfahren; Erni hingegen, der 1913 maturierte, erhielt ein Auto. Es war ein Produkt der Turiner Firma Itala, die auf den internationalen Markt vorgedrungen war, nachdem eines ihrer Gefährte die erste transnationale Rallye gewonnen hatte, das Große Rennen von Peking nach Paris 1907. Es war zwar viel kleiner als der Gräf & Stift, doch galt der Itala ebenfalls als
très chic
.
Da Hoffmann niemals Wohnhäuser in der Inneren Stadt entwarf, musste ein anderer Architekt für das Haus gefunden werden. Moriz und Hermine entschieden sich für Franz von Krauß, zu dessen Auftraggebern das Wiener Jubiläumstheater und das Hofburgtheater gehörten. Wie es in der britischen Zeitschrift
The Studio
hieß, gehörten zu Krauß’ erfolgreichsten Entwürfen »moderne, geradlinige Häuser, erbaut, um Zeit und Wetter zu trotzen«, sie seien »frei von überflüssigem, aus allen Ländern und Zeiten zusammengerafftem Zierrat«. In diesen Häusern waren die Bediensteten meist ungewöhnlich komfortabel untergebracht; das hatte seinen Grund darin, dass um die Jahrhundertwende gutes Hauspersonal immer schwerer zu bekommen war. In einer von Krauß’ Villen gab es einen Balkon für die Hausangestellten, wo sie sich »ungesehen und ungehört« aufhalten konnten.
Krauß’ Entwurf für Moriz und Hermine sah ähnlich aus. Das Entree des Gebäudes war besonders großzügig und elegant, mit geriffelten weißen Säulen, einem schwarzen Marmorbrunnen und grauer Marmorwandverkleidung mit goldenen und weißen Fliesen an den Gesimsen. Die Hausfassade war schlicht mit einigen klassizistischen Elementen. Vier Fenstertüren markierten den Nobelstock, wo sich die Gesellschaftsräume, die Schlaf- und Badezimmer der Familie befanden. Küche und Speisekammer lagen im Erdgeschoß, ebenso die Schlafzimmer der weiblichen Bediensteten, deren Fenster ungewöhnlicherweise statt auf einen Lichtschacht ins Freie führten. Die Bedienten der Gallias hatten auch ihre eigenen Badezimmer, während es sonst meist ein Gemeinschaftsbad auf dem Dachboden gab.
Die unmittelbare Umgebung von Krauß’ Gebäude ließ es umso auffälliger erscheinen. Als Moriz und Hermine den Auftrag erteilten, waren alle anderen Häuser in der Wohllebengasse historistisch, ebenso in der benachbarten Schwindgasse. Dass Moriz und Hermine sich für die Moderne entschieden hatten, war eine öffentliche Betonung der Unterschiedlichkeit, eine deutliche Ablehnung dessen, was sie umgab. Ihr Geschmack erlebte bald eine Rechtfertigung, als die Stadt Wien Krauß wegen der klaren Gebäudegliederung und des zurückhaltenden, eleganten Fassadenschmucks einen Preis verlieh. In einem Buch, das Krauß über seine Arbeiten veröffentlichte, waren auch drei Fotos des Hauses enthalten.
Eingangshalle im Haus Wohllebengasse 4, Entwurf von Franz von Krauß.
Hoffmanns Auftrag lautete, fünf Räume zu gestalten – einen Salon für Besucher, ein Raucherzimmer für Moriz, ein Boudoir für Hermine, ein Speisezimmer für formelle und ein Esszimmer für weniger formelle Essen. Wie üblich entwarf Hoffmann beinahe alle darin befindlichen Gegenstände und schuf somit wieder ein Gesamtkunstwerk. Dass er darauf bestand, war kein Problem für junge Eheleute wie
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