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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Hoffmann-Blumenständer. Das wichtigste zeitgenössische Buch über Wiener Design, Max Eislers »Österreichische Werkkultur«, zeigte drei Innenansichten, den Blumenständer, den weiß-goldenen Schreibtisch aus Hermines Boudoir und die Witzmann-Glasschale.
    Die Fotos der Inneneinrichtung – sie stammten von Bruno Reiffenstein, einem der besten Wiener Architekturfotografen – trugen wesentlich dazu bei, Hoffmanns Arbeiten bekanntzumachen. Alles an ihnen war sorgfältig inszeniert, von der Positionierung der Möbel bis zur Auswahl der Gegenstände auf den Tischen. Sie zeigten ein Interieur, in dem beinahe alles aus der Wiener Werkstätte stammte, inklusive des Silbers, das Hermine über ein Jahrzehnt hinweg gekauft hatte. Die Mosersche Bonbonschale, die Theobald Pollak ihr 1903 geschenkt hatte, stand auf einem Tisch in ihrem Boudoir, eine Hoffmannsche Obstschale von 1907 auf einem Buffet im Speisezimmer und die Hoffmannsche Schreibtischgarnitur von 1909 auf dem Schreibtisch in Moriz’ Raucherzimmer.
    Die Schatulle auf dem runden Tischchen im Raucherzimmer bildete eine Ausnahme. Sie war ein
trompe l’œil
, die Silberreplik einer hölzernen Zigarrendose der Firma Upmann, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die feinsten Havanna-Zigarren herstellte. Auf dem Deckel stand nicht nur der Name Upmann, er war auch mit zwei Reihen Stempelmarken versehen, die die kyrillische Inschrift »Importierter Tabak« trugen, als wäre die Dose für Russland bestimmt. Solche Kassetten, die unter den Romanows ab Ende der 1870er Jahre en vogue waren, wurden meist in Moskau hergestellt, fanden aber bald einen größeren Markt. Moriz’ Dose war ungewöhnlich groß, schwer und wundervoll graviert. Trotz des russischen Exterieurs stammte sie vom Wiener Silberschmied J. C. Klinkosch, der die erste silberne Besteckgarnitur der Familie gestaltet hatte. Dass die Schatulle auf dem Foto zu sehen war, zeigte, dass Moriz und Hermine sie für besonders wert- und stilvoll hielten.
    Das größte Porzellanobjekt im Salon war wieder etwas ganz anderes: »Nordpolen (Nordpol)«, ein Tafelaufsatz von Royal Copenhagen, der zwei Eisbären an einem gefrorenen Teich zeigte. Nach einer Zeit der Stagnation hatte die Firma Mitte der 1880er Jahre eine neue Blüte erlebt. Sie hatte auf dem internationalen Markt Erfolg, und so stiegen die Preise in schwindelnde Höhen, was einen Kritiker bemerken ließ, sie seien »einfach belustigend in ihrer Exorbitanz«. Das Stück, das Hermine und Moriz zur Schau stellten, war eines der berühmtesten kristallinen Werke von Royal Copenhagen mit weißer und meergrüner Glasur. Es war eines von zwei 1900 geschaffenen Stücken, eines davon befindet sich heute im Danish Museum of Decorative Art und wurde 1905 in der Jugendstil-Zeitschrift
Der moderne Stil
veröffentlicht. Es prägte das Werk des japanischen Töpfers Makuzu Kōzan, der sich den neuesten europäischen Moden gegenüber besonders aufgeschlossen zeigte.
    Reiffensteins Kamera hatte bei weitem nicht alles aufgezeichnet. Nelly Hamburger besaß eine kleine Sammlung von Hoffmann-Silber, die sie in ihren Hoffmann-Räumen verteilte, die Vitrine in ihrem Salon wiederum war voller Vasen und Figurinen aus Royal-Copenhagen-Porzellan, die sie bald durch antike Uhren und tschechisches Bleikristall ergänzte. Ähnlich eklektisch ging Hermine vor. Die größte Vitrine in ihrem Boudoir enthielt fast ausschließlich Copenhagen-Porzellan. In die deckenhohen Schränke, die den Salon von der Halle trennten, plazierte sie eine Gruppe Meißener Figuren und eine Reihe Silber- und Glaswaren aus dem Biedermeier.
    Eine über die Generationen weitererzählte Geschichte gibt einen Eindruck von der Opulenz dieser Umgebung und zugleich davon, wie sie von den Besuchern wahrgenommen wurde. Eines Tages erschien ein Freund der Familie mit einem Spazierstock, was er früher, als die Gallias über dem Gaslichtgeschäft in der Schleifmühlgasse wohnten, nie getan hatte. Sie waren besorgt und wollten wissen, wie der Besucher sich verletzt habe. »Warum tragen Sie den Stock?«, fragten sie. »Weil hier alles voller Marmor ist«, meinte er. »Ich habe den Stock mitgebracht, falls ich einmal auf Holz klopfen muss.«
    Die politische Lage verschlechterte sich unterdessen immer mehr. Heute ist es ein Klischee, dass das Habsburgerreich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts am Zusammenbrechen war, zusammenbrechen musste, weil die zahlreichen darin vertretenen nationalen Gruppen nach Unabhängigkeit strebten. Bei

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