Wolf Shadow Bd. 6 - Blutmagie
‚Ja‘ hätte bedeutet, dass ich meine Meinung für eine Tatsache halte.“
„Deine Meinung?“
„Ja. Die allerdings auf einer einzigartigen Erfahrung beruht. Die Clanmacht der Leidolf anzunehmen, war …“ – er hielt inne auf der Suche nach den Worten, die das, was er fühlte, am besten ausdrückten – „einfach. Nicht leicht, nein, aber viel einfacher als damals, als ich gezwungen wurde, die beiden Mächte zu übernehmen. Jetzt ist da … Platz. Sie sind beide schon da. Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass es über meine Kräfte gehen könnte, die ganze Macht der Nokolai zu übernehmen.“
Isen nickte langsam. „Nun gut. Ich vertraue deinem Urteil. Ich werde jetzt noch keine endgültige Entscheidung treffen, aber bis auf Weiteres bleibst du mein Lu Nuncio. Das Protokoll wird so sein, wie du vorgeschlagen hast, aber die Bedingungen werden andere sein. Auf dieser Seite des Landes bist du mein Lu Nuncio, auf der Seite der Leidolfs bist du ihr Rho.“
„Nein.“
Dieses Mal schoss nur eine Augenbraue in die Höhe. „Nein?“
„Wenn du und ich uns auf der Straße treffen und ich mich dir unterwerfe, werden die anderen Clans nicht deinen Lu Nuncio sehen, der sich unterwirft. Sie sehen den Rho der Leidolf. Das kann ich nicht akzeptieren.“
„Mit wem spreche ich jetzt – mit meinem Lu Nuncio oder dem Rho?“
„Mit beiden. Die anderen Clans sind beunruhigt, weil die Nokolai an Einfluss gewinnen. Dieser Besorgnis sollten wir lieber keine neue Nahrung geben.“
Ein Lächeln breitete sich auf Isens Gesicht aus und legte es dort in Falten, wo sie hingehörten. „Du bist gut“, sagte er zufrieden. „Du bist verdammt gut. Ich habe dich gut erzogen. Ja, ich stimme dir zu. Einige Bedingungen müssen noch festgelegt werden – die Klärung aber sollte zwischen dem Leidolf Rho und dem Nokolai Rho erfolgen.“ Seine Augen glitzerten. „Mit Ersterem spreche ich später. Jetzt möchte ich erst einmal meinen Sohn umarmen.“
Isens Umarmungen waren Weltklasse. So sehr er sich auch zurückhielt, wenn er Rule als Rho gegenübertrat, so liebevoll, fürsorglich und überschwänglich war er, wenn er die Rolle ablegte und nur noch Vater war.
Als sie sich voneinander lösten, lächelte Rule so herzlich wie sein Vater. Er wappnete sich – und da kam er, der Schlag auf die Schulter, so nachdrücklich, dass jeder, der nicht darauf vorbereitet war, ins Taumeln geriet. „Lily geht es doch gut, oder?“, fragte Isen. „Und Toby? Ich kann es gar nicht erwarten, den Jungen wiederzusehen. Bring ihn recht bald zum Clangut. Heute noch.“
Isen hätte Toby auch besuchen können, aber diesen Vorschlag machte Rule nicht. Das heutige Treffen war eine große Ausnahme. Sein Vater verließ selten das Clangut – doch das konnte sich jetzt, da die Leidolf keine Gefahr mehr waren, möglicherweise ändern. „Das werde ich. Er freut sich darauf, dich und seinen Onkel Benedict zu sehen.“ Rule sandte dem stummen Mann einen Blick zu, der immer noch hinter dem Vater Wache stand. „Da wir gerade vom Teufel sprechen …“
Isen drückte Rules Arm. „Lass ihn. Er grübelt. Er hat schon immer sehr viel gegrübelt, mein Sohn Benedict. Lass ihn erst mal in Ruhe.“
Rule betrachtete das undurchdringliche Gesicht seines Bruders. „Ich hätte nicht gedacht, dass es ihn so sehr stört, dass ich jetzt der Rho der Leidolf bin.“
„Nein, nein. Er hält es für einen klugen Schachzug. Es ist deine Verlobung, mit der er ein Problem hat. Also, wann bekomme ich meinen Enkel zu sehen? Er wird den Rest des Sommers auf dem Clangut verbringen“, verkündete Isen. „Und wenn die Schule anfängt, sehen wir weiter. Jetzt haben wir jedenfalls noch Sommer.“
Das war alles, was er zu Rules kommender Hochzeit sagte. Sie gingen noch eine halbe Stunde lang als Vater und Sohn nebeneinander her, unterhielten sich und planten Tobys Aufenthalt auf dem Clangut – auch wenn er nicht so ausgedehnt sein würde, wie Isen es sich wünschte. Und dabei kam Rules Vater nicht noch einmal auf Rules Absicht zu sprechen, das größte Tabu seines Volkes zu brechen. Als Rule das Thema anschneiden wollte, wich Isen aus.
Es wäre schön gewesen, dachte Rule, als er zu seinem Wagen zurückging, wenn er hätte annehmen können, dass dieses Schweigen Zustimmung bedeutete oder wenigstens, dass er nichts dagegen unternehmen würde. Aber ein Isen Turner hielt immer mit etwas hinter dem Busch.
2
Drei Wochen später
San Diego glitt vom Juli in den August wie ein
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