Wolf Shadow Bd. 8 - Tödlicher Zauber
Aber nicht Deb. Nicht seiner wunderschönen, entzückenden Deb.
Vor zwanzig Jahren hatte Deb ihn gefragt, ob er schon einmal seinen eigenen Tod gesehen habe. Damals war ihre Beziehung noch ganz frisch gewesen, aber er hatte schon gewusst, dass er sie bitten würde, seine Frau zu werden – nicht weil er es gesehen hatte, sondern weil es sein sehnlichster Herzenswunsch war. Damals hatte er mit »Nein« geantwortet, ganz wahrheitsgemäß … aber er hatte hinzugefügt, dass, falls das je geschehen würde, er es niemandem sagen würde. Nicht einmal ihr. Heute staunte Ruben darüber, dass sein jüngeres Ich – das sich so oft in so vielen Dingen geirrt hatte – so nah an der Wahrheit gewesen war.
Die praktischen Dinge hatte er mit ihr besprochen. Was nur vernünftig gewesen war nach seinem Herzinfarkt. Aber bei diesen Gesprächen schwang stets ein großes, leuchtendes »Falls« mit, und er brachte es nicht über das Herz, ihr diese Ungewissheit zu nehmen, auch wenn er wusste, dass es falsch war.
Vier Mal hatte er nun schon von Schmerzen geträumt, furchtbaren Schmerzen der Art, die Gedanken, Kraft und Leben verschlingen. Er konnte sich nie an viel von dem erinnern, was er geträumt hatte, anders als sein Körper. Als er den Herzinfarkt erlitten hatte, war sein kinetisches Gedächtnis erwacht und hatte ihm gesagt, dass das der Schmerz war, den er in seinem Traum vorausgesehen hatte.
Er hatte damit gerechnet, zu sterben. Doch er hatte überlebt.
Und auch der Traum war wiedergekommen.
Immer wenn er einen Traum so oft in so vielen verschiedenen Lebenssituationen hatte, bedeutete es, dass die darin dargestellten Ereignisse unter keinen Umständen aufzuhalten waren. Sein Traum endete immer auf dieselbe Weise: mit Stillstand. Nicht mit Dunkelheit oder irgendeiner Version des sagenhaften Tunnels, sondern mit einer Leere, die sein Verstand beim Aufwachen nicht noch einmal zurückrufen oder rekonstruieren konnte.
Es mochte morgen geschehen oder in einem Monat, aber sein Körper würde von seinen Schmerzen zermalmt werden. Dann kam das Ende. Und Ruben würde herausfinden, was auf der anderen Seite der kleinen, schwarzen Tür war, durch die jeder allein ging.
Er würde sie so sehr vermissen.
8
Am Sonntag grübelte Lily nicht mehr. Nicht mehr sehr. Weil sie es von ihr erwarteten, rief sie ihre Eltern an, was auch gut lief – sie unterhielt sich gern mit ihrem Vater – , doch anschließend war sie aufgewühlt. Denn laut Rubens Szenarien lebte ihre Familie in einem Jahr in irgendeiner irren Militärdiktatur.
Wenn sie dann noch am Leben waren.
Als Rule Toby anrief, sprach auch sie eine Weile mit ihm. Mathe war immer noch blöd, aber quadratische Gleichungen waren irgendwie cool. Eigentlich bekam Toby zu Hause Unterricht von einem pensionierten Lehrer, doch es war Isens Koch und Haushälter Carl, der Toby quadratische Gleichungen beibrachte. Was sich für Lily anhörte, als sei es Mathe, aber anscheinend nicht für Toby.
Die Entscheidung, welches Instrument er erlernen wollte, fiel ihm immer noch schwer, aber Oboe war ganz okay, deshalb blieb er erst mal dabei. Er und Johnny planten eine Klettertour – natürlich mit einem Erwachsenen, und außerdem war Großvater gar nicht so böse wegen letztem Mal, aber weil Toby keine Lust hatte, die ganze Zeit mit einem Leibwächter herumzulaufen, hatte er trotzdem versprochen, es nicht mehr zu tun. Und Dirty Harry ging es gut. Er hatte sein Revier gegen die Hunde, die frei auf dem Clangut herumliefen, erfolgreich verteidigen können. Den meisten von ihnen flößte er Angst ein, doch es gab einen deutschen Schäferhund, der es auf ihn abgesehen hatte. Bis gestern, besser gesagt. Da hatte Harry herausgefunden, dass die seltsam riechenden Menschen, bei denen er jetzt wohnte, ihm Rückendeckung gaben, wenn er sich mit dem Schäferhund anlegte.
Als Kater hatte Harry nämlich keine Probleme damit, sich Unterstützung zu suchen. Man konnte jede Hilfe gebrauchen, die sich einem anbot, oder etwa nicht? Jetzt sei er ziemlich zufrieden mit sich, sagte Toby.
Zwischen den Telefonaten putzte Lily, während Rule die Wäsche machte, eine Arbeitsaufteilung, für die sie sich nach ein paar Monaten des Zusammenwohnens entschieden hatten.
Während er Wollmäuse und dergleichen gar nicht zu sehen schien, war sie pingelig, was Sauberkeit anging, und zwar so pingelig wie er mit seinen Kleidern – teils aus Eitelkeit, teils aus Notwendigkeit. Zum einen, weil er »das öffentliche Gesicht« seines
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