Wolfgang Hohlbein -
mich loslassen.«
Bresser zögerte noch einen Moment. Dann zog er ganz langsam das Knie, mit dem er seine Beine blockiert hatte, zurück, tauschte einen fragenden Blick mit seiner Frau und löste schließlich auch seinen Griff um Tobias' Handgelenke.
Er richtete sich auf, trat aber nicht vom Bett zurück, um sofort wieder zupacken zu können, sollte Tobias erneut in Raserei verfallen.
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»Was ist passiert?« flüsterte Tobias stockend. Seine Augen fielen zu. Er hatte nicht mehr die Kraft, die Lider zu heben, alles drehte sich um ihn, und Marias Stimme schien plötzlich wie aus einem unendlich tiefen Brunnen an sein Bewußtsein zu dringen.
»Ihr habt geschrien, Tobias«, antwortete Maria. »Ihr habt geschrien, und als wir hereinkamen, da habt Ihr Euch hin-und hergeworfen und um Euch geschlagen. Bresser mußte Euch festhalten. Wir hatten Angst, daß Ihr Euch selbst verletzen könntet.«
Tobias öffnete mühsam die Augen. Marias Gesicht verschwamm vor seinem Blick, und Bressers war nur ein bleicher Farbfleck, irgendwo über ihm. Aber immerhin sah er, daß es im Zimmer wieder hell war. Es dämmerte bereits, aber er fühlte sich nicht erholt, sondern beinahe erschöpfter als am Abend, als er sich hingelegt hatte.
»Hattet Ihr einen Traum?« fragte Maria.
Tobias nickte schwach. Er wollte antworten, mußte sich aber erst mit der Zungenspitze über die Lippen fahren, die trocken und rissig geworden waren. »Ja«, flüsterte er.
»Einen . . . schlimmen Traum.«
Er wollte sich aufrichten, doch als er die Finger spreizte, um sich auf der Matratze abzustützen und in die Höhe zu stemmen, da wagte er es nicht, die Bewegung zu Ende zu führen, sondern blickte zuerst an sich herab, als müsse er sich davon überzeugen, daß der Alptraum auch wirklich vorbei war. An seinen Fingern und seinen nackten Füßen klebte kein schwarzer Morast. Trotzdem hatte er das Gefühl, die widerwärtige, warme Berührung noch zu spüren.
Zitternd richtete er sich auf. »Ja, einen sehr schlimmen Traum. Ich danke euch, daß ihr mich geweckt habt.«
»Es ist Besuch für Euch gekommen«, sagte Bresser.
Tobias sah auf. Seltsamerweise fiel es ihm immer noch schwer, Bressers Gesicht wirklich zu erkennen. Aber auch die Silhouetten der Dinge im Raum verschwammen, als bestünden sie aus Rauch, der an den Rändern langsam auseinander-trieb. Etwas stimmte mit seinem Sehvermögen nicht, auch seine Zunge schien ihm nicht so recht zu gehorchen.
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»Besuch?« fragte er mühsam.
»Der Graf ist gekommen«, antwortete Bresser. »Ich war gerade auf dem Weg, Euch zu wecken, als ich Euch schreien hörte.«
»Aber wir können ihn wegschicken«, fügte Maria hinzu.
Bresser warf ihr einen ärgerlichen, fast zornigen Blick zu, aber sie fuhr unbeirrt fort: »Er wird Verständnis dafür haben, wenn ich ihm sage, daß Ihr Euch nicht wohl fühlt, Tobias.«
»Das ist nicht nötig.« Tobias unterdrückte ein Stöhnen.
Eine leise Übelkeit begann sich in seinem Magen auszubrei-ten, und er fühlte, wie ihm überall am Körper kalter Schweiß ausbrach. Wenn das, was er spürte, die körperlichen Nachwirkungen des Alptraumes waren, so mußte er noch schlimmer gewesen sein, als er sich erinnerte. Als er sich ganz aufsetzte, verebbte das Schwindelgefühl zwischen seinen Schläfen zwar, aber dafür wurde die Übelkeit heftiger, und dazu gesellte sich ein dünner, bohrender Schmerz.
Sein Stolz reichte nicht mehr aus, Bressers hilfreich hinge-haltene Hand zu ignorieren, als er aufstand. Zweimal sank er kraftlos auf die Bettkante zurück, ehe es ihm endlich gelang, auf wackeligen Knien stehenzubleiben. Seine Augen verweigerten ihm noch immer den Gehorsam. Bressers
Gesicht gewann keine Konturen, auch wenn er ihm sehr nahe kam. Er hob die Hand, fuhr sich stöhnend über Augen und Stirn und schüttelte wortlos den Kopf, als Bresser ihm unter die Arme greifen wollte.
»Ihr seht nicht gut aus, Tobias«, sagte Maria besorgt.
»Legt Euch lieber wieder hin. Ihr habt Fieber.«
Tobias schüttelte abermals den Kopf - sehr, sehr vorsichtig - und versuchte, ein Lächeln auf seine rissigen Lippen zu zwingen. »Es ist schon gut«, sagte er kraftlos. »Ich fühle mich nicht wohl, aber es war nur . . . ein Traum. Ein sehr schlimmer Traum. Vielleicht erzähle ich ihn euch später.
Aber jetzt bringt mich zum Grafen.«
Maria zögerte, doch Tobias machte eine befehlende Handbewegung, so daß sie sich schließlich umwandte und das Zimmer verließ, während Bresser neben ihm herging,
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