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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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Leben, seine Gedanken, seine Seele, jeder Funke seines Seins gehörten der Kirche. Er hatte geschworen, Gott und die Kirche zu lieben, und er hatte diesen Schwur nicht nur so dahingesagt.
    Und doch liebte er auch sie, wie jemals ein Mann eine Frau geliebt hatte. Er begriff plötzlich, daß der schreckliche Fiebertraum mehr als ein Alp gewesen war, mehr als eine sinnlose, böse Vision, mit der ihn sein eigenes, schlafendes Bewußtsein geplagt hatte. Er war Ausdruck seiner Wünsche gewesen, das, was er all die Jahre über hatte haben wollen und nicht haben durfte. Und doch begehrte er Katrin nicht körperlich. Was er für sie empfand, das war eine reine, unverdorbene Liebe, die nichts mit der Befriedigung seiner fleischlichen Gelüste zu tun hatte. Diese Bedürfnisse hatte er zu beherrschen, zu unterdrücken und schließlich zu vergessen gelernt in den eineinhalb Jahrzehnten, auch wenn sie bei Katrins Anblick einen kurzen Moment wieder aufgelodert waren wie die Glut eines längst erloschenen Feuers. Er liebte sie, und nichts, keine Macht des Himmels oder der Hölle würde daran je etwas ändern können. Und dieser Gedanke stürzte Tobias abermals in tiefste Verzweiflung.
    Katrin bewegte sich unruhig im Schlaf. Ihre Hand glitt unter ihrer Schläfe hervor, und ihr Kopf fiel sacht auf das Kissen zurück. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde sie erwachen. Tobias wartete beinahe mit angehalte-nem Atem, bis er erkannte, daß sie weiterschlief, dann drehte er sich lautlos um, verließ das Zimmer und zog die 280
    Tür so leise hinter sich zu, wie er nur konnte. Er war sehr froh, daß sie nicht aufgewacht war. Ihre Gespräche waren zuletzt recht mühsam gewesen. Er war der Inquisitor und sie die vermeintliche Hexe - diese Kluft stand irgendwo immer zwischen ihnen, auch wenn sie es nicht wollten.
    Er ging die Treppe wieder hinunter und betrat die Stube, in der Maria und Bresser immer noch lautstark aufeinander einredeten. Als sie das Geräusch der Tür hörten, schwiegen sie abrupt und wandten den Blick. In Marias Gesicht stand eine Mischung aus Schrecken und Unwillen, als sie
    erkannte, daß er aufgestanden war, während Bresser ihn nur mit dem gleichen Zorn anstarrte, mit dem er zuvor seine Frau gemustert hatte. Er sagte auch nichts, sondern wollte sich umwenden, um an dem Mönch vorbei aus dem Zimmer zu gehen, aber Tobias hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. »Wartet!«
    Bresser blieb tatsächlich stehen, aber er gab sich jetzt nicht einmal mehr Mühe, höflich zu erscheinen. Der Blick, mit dem er Tobias maß, war ohne die geringste Spur von Mitleid oder gar Erleichterung.
    »Ihr solltet nicht aufstehen, Tobias«, sagte Maria, »und schon gar nicht herumlaufen.«
    »Ich weiß«, antwortete Tobias. »Aber es gibt zuviel zu tun, als daß ich die Zeit im Bett verbringen könnte. Seid so lieb und bereitet mir eine Kleinigkeit zum Essen, während ich mich mit Eurem Mann unterhalte.«
    Er war nicht im mindesten hungrig; ganz im Gegenteil ließ allein der Gedanke an Essen die Übelkeit in seinem Magen wieder aufflammen. Aber er erkannte auf Marias Gesicht, daß die kleine Lüge den beabsichtigten Zweck erfüllte: Sie sah ihn in diesem Moment nicht als Priester, sondern einzig als Kranken, um den sie sich sorgte, und sein Appetit mußte ihr als gutes Zeichen erscheinen. Nachdem sie einen letzten warnenden Blick an Bresser gerichtet hatte, verließ sie das Zimmer.
    Tobias ging zum Tisch und setzte sich. Die wenigen
    Schritte die Treppe hinauf und wieder hinunter hatten ihn spürbar ermüdet. Seine Knie zitterten, und er hatte Mühe, die Hände stillzuhalten.
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    »Setzt Euch, Bresser«, sagte er. »Ich habe zwei oder drei kleine Aufträge für Euch.«
    Bresser gehorchte schweigend. Tobias schluckte die ärgerliche Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, herunter und mahnte sich in Gedanken zur Ordnung. Er durfte jetzt keinen Fehler begehen, und er durfte seine Kraft nicht dazu ver-geuden, einen Hornochsen wie Bresser in seine Schranken zu verweisen.
    »Morgen früh werdet Ihr folgendes für mich erledigen, Bresser«, begann er. »Nehmt ein paar zuverlässige Männer und geht in das Haus nebenan. Ihr werdet es reinigen und die Fenster öffnen, damit ein wenig frische Luft herein-kommt. Und Ihr werdet Euch vor allem die Turmkammer vornehmen, in der wir Katrin gefunden haben. Säubert sie gründlich, versteht Ihr?«
    Bresser nickte, aber er sah ihn mit solcher Überraschung an, daß Tobias es vorzog, seine Worte noch

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