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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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betroffen an. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich der Volkszorn gegen einen Inquisitor richtete, wenn er nicht tat, was die Leute von ihm erwartet hatten.
    Tobias hatte keine Angst davor, er konnte sich nicht vorstellen, daß es wirklich soweit kam, daß sie ihm etwas antaten.
    Er fürchtete aber, daß sie seine Anwesenheit einfach igno-rierten
    und so verfuhren, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatten.
    »Ich sagte Euch, es war ein Fehler, Katrin aus dem Turm zu holen«, fuhr der Graf in ernstem Tonfall fort, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Sie ist in diesem Haus nicht sicher.«
    Theowulf gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. »Also gut«, sagte er, »ich werde sehen, was ich tun kann. Aber bis zum Abend brauche ich eine Entscheidung, so oder so.«
    »Und wenn ich . . . Euer Angebot ausschlage?« fragte Tobias.
    »Dann«, antwortete Theowulf in sehr, sehr ernstem Tonfall, »liegt die Verantwortung für alles, was weiter geschieht, ganz allein bei Euch, Pater Tobias.«
    Er ging und ließ den Mönch allein zurück, ohne noch ein einziges Wort zu sagen. Dann liegt die Verantwortung ganz allein bei Euch, Pater Tobias . . .
    Tobias wiederholte sich diese Worte immer und immer wieder. Aber es gelang ihm nicht, ihnen dadurch ihren unheimlichen, düsteren Klang zu nehmen. Er fühlte sich verwirrter und hilfloser denn je. Waren diese Worte des Grafen eine Drohung oder eine Warnung, aus der nur die Sorge um ihn und das Wohl der Stadt sprach? Er wußte es einfach nicht. Er würde es auch nicht herausbekommen, wenn er weiter in seinem Bett lag und darauf wartete, daß die Dinge sich von selbst regelten.
    Tobias hatte vor, abzuwarten, bis er sicher sein konnte, daß Theowulf das Haus verlassen hatte, aber sein Körper 278
    war noch zu geschwächt. Er schlief wieder ein, und als er erwachte, fühlte er sich erschöpfter und matter denn je. Der Tag ging schon wieder zur Neige. Er war allein, aber durch die Tür drangen die Stimmen Marias und Bressers, die lautstark miteinander redeten, und von der Straße vernahm er die gewöhnlichen Geräusche der Stadt: Stimmen, Schritte, das Knarren eines Wagens . . . Alles schien so normal, so entsetzlich normal zu sein.
    Er erhob sich, blieb einen Moment mit geschlossenen Augen auf der Bettkante sitzen und lauschte in sich hinein.
    Aus der quälenden Übelkeit war ein zwar noch spürbares, aber erträgliches Unwohlsein geworden, das in seinem Magen und seinen Eingeweiden rumorte. Er stand auf, warf einen Blick zum Fenster - es war geschlossen, und das Ölpapier nahm den letzten Sonnenstrahlen ihre ganze Kraft
    - und wandte sich schließlich zur Tür. Bressers und Marias Stimmen klangen erregter, als er sie öffnete. Aber er sah keinen der beiden. Einen Moment lang überlegte er, zu ihnen zu gehen, entschied sich dann aber anders und wandte sich nach rechts, zur Treppe hin. Zu Katrin. Seit seinem Alptraum (Aber war es wirklich nur ein Traum gewesen?) hatte er Angst davor, sie wiederzusehen. Es war nicht ihre Schuld, was sich in seinem Kopf abspielte, und doch würde er sie nie wieder so hoffnungsvoll ansehen können wie noch vor wenigen Tagen.
    Vor Katrins Tür hielt er inne und versuchte, sich zu sammeln. Er lauschte noch einen Moment - Bresser und seine Frau stritten noch immer -, dann öffnete er die Tür und trat gebückt ins Zimmer.
    Katrin schlief. Sie lag mit geschlossenen Augen und auf der Seite auf dem Bett, den linken Arm angewinkelt und unter den Kopf geschoben, und eine Strähne ihres jetzt wieder sauberen Haares hing ihr in die Stirn. Ihr Gesicht hatte wieder eine gesunde Farbe angenommen, und auch die zahllosen kleinen Kratzer und Geschwüre auf ihrer Haut verheil-ten zusehends.
    Ein Gefühl tiefer Zärtlichkeit überkam Tobias, als er die schlafende Frau betrachtete. Und zum ersten Mal seit Tagen 279
    wieder war es ein völlig reines Gefühl; völlig frei von Schuld, völlig frei von Vorwurf und Schrecken, völlig frei von nagenden Zweifeln und dem lautlosen, aber beharrli-chen Wispern seines eigenen schlechten Gewissens. Er stand einfach da und sah sie an, und vielleicht war es das letzte Mal in seinem Leben, daß er wirklich glücklich war, denn es war dieses Bild, das er sich in seiner Erinnerung bewahrt hatte: das Bild eines schmalen, im Schlaf entspannten Mäd-chengesichtes, eines Menschen, der einfach da war und den er liebte, ohne etwas von ihm zu verlangen oder etwas geben zu müssen.
    Er wußte nicht einmal, ob er sie lieben durfte. Sein

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