Wolfgang Hohlbein -
entsetzt zugleich. Aber er hatte sich besser in der Gewalt als Derwalt. Nur einen Moment irrte sein Blick zwischen dem Zimmermann und Tobias hin und her, dann räusperte er sich und zwang sich ein Lächeln ab. »Pater Tobias. Ihr . . . Ihr seid . . .«
Tobias brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und schritt an ihm vorbei auf Derwalt zu. Ungläubig musterte er den kleinen, grauhaarigen Mann. Derwalt stand verkrampft da. Er zitterte, sein Gesicht war bleich, feiner Schweiß bedeckte seine Haut. Dann entdeckte Tobias den schmutzigen, durchgebluteten Verband an seinem linken Arm.
Ein eisiger Schrecken durchfuhr ihn. »Derwalt!« rief er.
»Was um Gottes willen ist passiert?«
Der Zimmermann öffnete den Mund, als wolle er antworten, aber dann sagte er nichts, sondern warf nur einen 284
raschen, fast entsetzten Blick auf Bresser, und Tobias verstand.
»Geht ins Haus und holt etwas Wasser für diesen Mann«, sagte er barsch zu Bresser. »Schnell! Ihr seht doch, daß er krank ist.«
Bresser rührte sich nicht. In seinem Blick flackerte Miß-
trauen. »Aber Ihr . . .«
»Tut, was ich Euch sage!« befahl Tobias.
»Ich glaube nicht, daß er . . .« begann Bresser erneut.
Tobias fuhr herum und funkelte ihn an. »Wenn ich Euren Rat brauche, Bresser, dann werde ich Euch danach fragen«, sagte er zornig. »Und jetzt geht und tut endlich, was ich befehle.«
Es überraschte ihn selbst - aber für die Dauer eines Herzschlages sah es fast so aus, als wolle sich Bresser seinem Befehl widersetzen. In seinen Augen war nur Trotz und ein Mißtrauen, das wacher und brennender war denn je. Aber dann drehte er sich herum und verschwand mit weit ausgreifenden, wütenden Schritten im Haus.
Tobias sah ihm nach, bis er sicher war, daß er seine Worte nicht mehr belauschen konnte, dann drehte er sich rasch wieder zu Derwalt um, trat ganz zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was ist passiert?« fragte er erschrocken. »Ich habe Euch in der Nacht am Fluß gesehen.«
Derwalts Gesicht wirkte noch bleicher. »Nichts!« stieß er hervor. Er machte eine Bewegung, als wolle er die Hand des Mönches abschütteln, führte sie aber nicht zu Ende, sondern wich nur ein kleines Stück von ihm fort, und Tobias zog die Hand aus freien Stücken zurück. Derwalt zitterte am ganzen Leib.
»Was ist mit Eurer Hand passiert?« fragte Tobias.
»Nichts«, wiederholte Derwalt, ohne ihn anzusehen. »Es war ein . . . ein Unfall. Ich habe nicht aufgepaßt.«
»Ein Unfall?« wiederholte Tobias zweifelnd. »Redet keinen Unsinn, Mann. Ich habe gesehen, was passiert ist. Ich war am Fluß.«
Derwalt hob den Kopf, blickte ihn einen Augenblick unsicher an und starrte dann wieder zu Boden. »Ich . . . Ich 285
weiß nicht . . . Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Vater«, sagte er.
Tobias setzte zu einer wütenden Entgegnung an, doch dann begriff er, daß Derwalts Schweigen kein Ausdruck von Verstocktheit oder von Feindseligkeit war. Der Mann hatte Angst. Er war fast wahnsinnig vor Angst. »Was ist passiert?« fragte er noch einmal. »Was soll dieses Gerede von einem Unfall?«
»Es war ein Unfall«, beharrte Derwalt. »Es passierte vor zwei Tagen auf Temsers Hof. Ich habe einen Balken zurecht-gehauen und war für einen Moment unaufmerksam. Und da ist mir die Axt abgeglitten.«
»Und Ihr habt Euch die Hand abgehackt?« fragte Tobias zweifelnd.
Derwalt schüttelte den Kopf. »Nicht die Hand«, sagte er,
»nur drei Finger. Aber es war schlimm genug. Temser und sein Knecht haben mich zum Schloß gebracht. Das alte Weib, das bei dem Grafen wohnt, hat mich verbunden und mir eine Salbe aufgetragen. Sonst wäre ich wahrscheinlich verblutet.«
»Ich glaube Euch kein Wort«, sagte Tobias ruhig.
»Aber genauso war es!« beharrte Derwalt. Seine Stimme zitterte. Er klang beinahe verzweifelt, und für einen Moment tat er Tobias einfach nur leid. Es war ungerecht, daß er diesem armen Mann so zusetzte, doch er hatte keine andere Wahl.
»Warum belügt Ihr mich?« fragte er. »Ich stehe auf Eurer Seite, Derwalt. Was muß ich noch tun, um das zu beweisen?
Ich war an diesem Abend da. Ich habe auf Euch gewartet, aber Ihr seid nicht gekommen, und da habe ich mich auf den Weg zurück gemacht. Ich bin zum Fluß hinuntergegangen, um etwas zu trinken. Und als ich wieder in den Sattel steigen wollte, da habe ich Euch gesehen. Und die«, fügte er mit besonderer Betonung hinzu, »die Euch verfolgt haben.«
Derwalt zuckte zusammen. Er begann, unruhig von einem
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