Wolfgang Hohlbein -
Fuß auf den anderen zu treten, und die Finger seiner unverletzten Hand spielten nervös an seinem Gürtel. »Ich . . . Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Pater«, stammelte er. »Ich 286
konnte nicht kommen. Sie sind alle losgeritten, um dem Grafen bei seiner Jagd zu helfen. Er braucht immer Männer als Treiber, und der Lohn ist nicht schlecht.«
»Und deshalb habt Ihr die Verabredung mit mir vergessen?« Tobias lachte abfällig.
»Das glaubt Ihr selbst nicht, Derwalt. Ihr habt Euer Leben riskiert, um mit mir zu sprechen, und jetzt wollt Ihr mir erzählen, Ihr hättet das vergessen, um ein paar Heller zu verdienen?«
»Genauso war es«, beharrte Derwalt. »Ihr könnt alle fragen. Temser und all seine Knechte und die anderen. Ich war auch dabei. Die Jagd hat fast die ganze Nacht gedauert, und ich . . . ich habe Euch auch nicht vergessen, aber ich konnte mich nicht davonschleichen. Sie wären mißtrauisch geworden, wenn ich nicht mitgekommen wäre.«
»Dann war das am Fluß vermutlich Euer Zwillingsbru-
der«, sagte Tobias spöttisch. »Oder ein Gespenst.«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Derwalt. »Ich . . . ich weiß nicht, was Ihr gesehen habt oder wen, mich jedenfalls nicht. Und jetzt laßt mich bitte gehen, Pater.«
Tobias seufzte. Er ahnte, daß jedes weitere Wort sinnlos war. Wieso Derwalt die grausame Menschenjagd am Fluß-
ufer überlebt hatte, war ihm ein Rätsel, aber sie hatte ihn so eingeschüchtert, daß keine Macht der Welt ihn jetzt noch dazu bringen würde, ihm auch nur ein Wort zu verraten.
Trotzdem versuchte er es noch einmal: »Nun gut«, sagte er,
»vielleicht habe ich Euch wirklich verwechselt. Aber jetzt bin ich hier, und wir sind allein. Ihr könnt mir also durchaus sagen, was Ihr mir in dieser Nacht sagen wolltet.«
»Nichts«, antwortete Derwalt hastig. »Es war nichts. Ich war töricht. Es tut mir leid, daß ich Euch solche Umstände bereitet habe.«
»Ich kann Euch auch morgen offiziell als Zeuge laden«, sagte Tobias, »wenn Euch das lieber ist.«
»Wenn Ihr darauf besteht, werde ich natürlich kommen«, entgegnete Derwalt. »Aber ich kann Euch nicht mehr sagen als jetzt.«
Tobias gab auf. Vielleicht mußte er dem Mann noch etwas 287
Zeit lassen. »Nun gut«, sagte er seufzend. »Dann kommt morgen zu mir. Ich erwarte Euch eine Stunde vor Mittag dort drüben.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf das Turmhaus und sah, wie Derwalt abermals zusammenfuhr.
»Aber ich kann Euch nichts sagen, Pater«, wiederholte Derwalt. Seine Stimme klang ein wenig schrill. Sein Blick huschte über die dunkle Gasse. »Ich weiß nicht, was Ihr wissen wollt. Ich habe Euch alles über die Hexe erzählt, was ich weiß. Was wollt Ihr noch von mir? Warum quält Ihr mich?«
»Weil . . .« Tobias verstummte mitten im Satz, senkte den Blick und ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. Er hatte kein Recht, wütend auf diesen Mann zu sein. Aber er empfand eine immer tiefere, unstillbare Wut auf jene unsichtbare Macht, die hinter all diesen schrecklichen Ereignissen stand, jene Macht, die schuld daran war, daß Furcht und Terror die Seelen der Menschen in dieser Stadt verpesteten und daß dieser einfache Mann, der den Mut gehabt hatte, sich ihm anvertrauen zu wollen, dafür verstümmelt worden und beinahe gestorben war.
»Es ist gut«, sagte er. »Geht. Ich erwarte Euch dann morgen.«
Derwalt fuhr auf der Stelle herum und lief so schnell davon, daß er in der Tat wie ein Flüchtender aussah. Tobias blickte ihm nach, bis sein Schatten zwischen den Häusern verschwand. Und wieder glaubte er für einen Moment, einen anderen Schatten zu sehen, etwas, das in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Platzes stand und zu ihm her-
überblickte.
Langsam drehte er sich herum und ging ins Haus zurück.
In der Diele prallte er mit Bresser zusammen, der ihm mit einem Becher entgegenkam.
»Spart Euch die Mühe«, sagte Tobias unfreundlich. »Er ist fort.«
Bresser blieb stehen, warf einen überraschten Blick auf die Straße hinaus und sah dann ihn an. Aber er sagte nichts, und er hatte plötzlich alle Mühe, das triumphierende Lächeln zu unterdrücken, das sich auf sein Gesicht schleichen wollte.
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»Schreibt seinen Namen ganz oben auf die Liste derer, die ich morgen sprechen möchte«, fügte Tobias finster hinzu.
»Und sorgt mir dafür, daß er auch wirklich kommt.«
Bresser nickte. Und lächelte. Tobias blickte ihn beinahe haßerfüllt an, dann drängte er sich grob an ihm vorbei und lief die Treppe
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