Wolfgang Hohlbein -
wieder zu ihm und schlug vor, mit der Vernehmung der ersten Zeugen nach der Mittagsstunde zu beginnen, was Tobias jedoch ablehnte. Er wollte sofort beginnen. Er verlangte von Bresser die Liste mit den Namen der Zeugen und befahl, den ersten hereinzuführen. Bresser machte ein finsteres Gesicht, aber er widersprach nicht mehr, sondern ging, um den Mann zu holen.
Der Rest des Tages verlief so, wie Tobias erwartet hatte: Er verhörte ein halbes Dutzend Männer und Frauen aus Buchenfeld, die alle das eine oder das andere über die Hexe und ihr teuflisches Wirken zu sagen hatten. Sie berichteten mit mehr oder minder gleichen Worten den Unsinn, den Tobias schon so oft gehört hatte, daß er sich mehr als ein-293
mal beherrschen mußte, um nicht herauszuplatzen und ihnen zu sagen, was er von ihrem gotteslästerlich dummen Gerede hielt. Aber er hörte auch Dinge, die er ernst nahm
- wie zum Beispiel die Geschichte eines jungen Schweine-hirten, der erzählte, er habe vor drei Wochen in der Mor-gendämmerung den Tod über die Felder nördlich der Stadt reiten sehen.
Anders jedoch verhielt es sich mit der Aussage Temsers.
Der betuchte, freie Bauer stand nicht einmal auf Bressers Liste, sondern trat plötzlich und unaufgefordert vor seinen Tisch.
Tobias war ein wenig überrascht, ihn zu sehen. Er hatte mit einem gewissen Unmut das Fehlen seines Namens auf Bressers Aufstellung registriert und sich vorgenommen, ihn für den nächsten Tag persönlich als Zeugen vorzuladen. Und daß der alte Bauer jetzt hier auftauchte, konnte kein Zufall sein.
»Temser!« rief Tobias erfreut aus. Er wollte aufstehen, aber der Bauer winkte mit einer lässigen Geste ab und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er wirkte nicht verkrampft wie die anderen Zeugen, die Tobias bisher verhört hatte, sondern saß locker, die Beine übereinander geschlagen da, als besuche er einen Freund und stünde nicht als Zeuge vor einem Gericht der Inquisition.
»Bemüht Euch nicht, Pater Tobias«, sagte er. »Bleibt ruhig sitzen. Ich hoffe, ich störe Euch nicht.«
»Nicht im geringsten«, antwortete Tobias. »Im Gegenteil, ich wollte ohnehin noch mit Euch sprechen.«
»Man hat mir erzählt, Ihr wärt krank gewesen«, sagte Temser.
Tobias winkte ab.
»Das stimmt. Aber es war nicht so schlimm. Ihr wißt ja, wie die Leute sind. Ihr hustet dreimal, und schon erzählen sie, Ihr hättet die Schwindsucht.«
Temser lachte.
»Wem sagt Ihr das? Aber ich bin trotzdem froh zu sehen, daß es Euch wieder gutgeht.«
»Ich muß mich noch bei Euch entschuldigen«, sagte 294
Tobias. »Ich konnte das Pferd leider nicht zurückbringen.
Ich hoffe, irgend jemand hat es getan.«
»Es ist gestorben«, antwortete Temser.
Tobias blickte ihn betroffen an. »Gestorben?«
Temser nickte. Für einen Moment machte sich ein betrübter Ausdruck auf seinen Zügen breit, dann seufzte er, zuckte mit den Schultern und machte eine Handbewegung, als wolle er den Gedanken beiseite schieben. »Bresser hat es zurückbringen lassen, gleich am nächsten Morgen«, sagte er.
»Aber es wollte nicht mehr fressen. Am Nachmittag bekam es dann eine Kolik und starb noch vor Sonnenuntergang.«
Tobias blickte ihn weiter betroffen an. Aus irgendeinem Grunde erschreckte ihn der Tod des Tieres. Das konnte kein Zufall sein, das Tier war am gleichen Tag verendet, an dem auch er mit dem Tode gerungen hatte. Und das, nachdem sie beide . . .
Nachdem sie beide Wasser aus dem Fluß getrunken hatten.
Etwas von seinem Schrecken mußte sich wohl deutlich auf seinem Gesicht abzeichnen, denn Temsers Lächeln erlosch plötzlich. »Was habt Ihr?« fragte er alarmiert.
Tobias schüttelte schwach den Kopf. »Nichts«, sagte er.
»Ich mußte nur ... an etwas denken.« Er zwang sich zu einem Lächeln, machte eine abwehrende Geste mit der linken Hand und straffte sich. »Es ist gut, daß Ihr hier seid«, fuhr er fort, abrupt das Thema und den Tonfall wechselnd.
»Wie gesagt, ich hätte Euch sowieso gebeten, zu mir zu kommen. Ich brauche Eure Aussage.«
Temser lächelte. »Aber habt Ihr die denn nicht schon?«
Tobias nickte. »Natürlich. Aber die Dinge müssen ihre Ordnung haben. Auch ich bin an gewisse Formalien gebunden, wenn Ihr versteht. Dies hier ist jetzt der offizielle Teil der Untersuchung. Ich muß Euch also bitten, mir die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen - auch wenn ich es selbst ein wenig albern finde«, fügte er mit einem flüchtigen Lächeln hinzu.
Dem Gesichtsausdruck des Bauern nach zu
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