Wolfgang Hohlbein -
schließen,
schien es ihm nicht anders zu ergehen, aber er fügte sich und 295
erzählte Tobias in aller Ausführlichkeit noch einmal die Geschichte des Brandes, der seine Scheune vernichtet hatte.
Tobias unterbrach ihn immer wieder, stellte Zwischenfragen, erkundigte sich nach diesem oder jenem und notierte sich vor allem die Namen aller derer, die den Blitzschlag und das anschließende Feuer beobachtet hatten. Temser antwortete geduldig auf alles, was er wissen wollte. Und er fügte das eine oder andere ungefragt hinzu; zumeist Dinge, die Katrin entlasteten, wie Tobias nicht ohne eine gewisse Zufriedenheit feststellte. Aber er mußte vorsichtig sein. Bressers Verhalten bei ihrem ersten Besuch auf dem Hof hatte ihm klar gemacht, daß Temsers Sympathien für Katrin kein Geheimnis waren. Als Zeuge war er also nicht allzu wertvoll. Wenn er Katrin freisprechen und diesen Freispruch auch später rechtfertigen wollte, so brauchte er mehr als die Aussage eines einzelnen Mannes.
Er nahm Temsers Aussage sorgfältig zu Protokoll, ließ ihn
- was ungewöhnlich war, den Bauern aber sichtlich erfreute
- das Notierte anschließend lesen und bestätigen und bat ihn anschließend, noch einen Moment zu bleiben, als Temser sich erheben und gehen wollte. Der Bauer ließ sich wieder auf seinen Stuhl zurücksinken und sah ihn erwartungsvoll an.
Tobias überlegte einen Moment angestrengt, wie er beginnen sollte. Die Sache war nicht leicht. Schließlich war Temser nach dem, was Derwalt widerfahren war, der einzige, dem er ein wenig traute; und wenn er ihn auch noch verschreckte, dann verlor er vermutlich seinen letzten Verbündeten.
»Das mit dem Pferd tut mir aufrichtig leid«, sagte er noch einmal. »Es war ein sehr gutes Tier.«
»Mein bestes«, bestätigte Temser. »Erst vor zwei Monaten hat mir der Graf fünf Goldstücke dafür geboten. Aber ich habe es nicht verkauft.« Er seufzte und lächelte schmerzlich.
»Doch es war nie meine Art, Dingen nachzutrauern, die passiert und nicht mehr zu ändern sind. Der Herr gibt, der Herr nimmt.«
Tobias sah ihn irritiert an. Auch für einen Mann wie Tem-296
ser mußte der Verlust eines so wertvollen Tieres schmerzlich sein. Daß er ihn scheinbar so gelassen hinnahm, überraschte Tobias. »Wißt Ihr, woran es gestorben ist?« fragte er. Temser verneinte. »Es ist nicht das erste Tier, das auf diese Weise verendet, und ich fürchte, es wird auch nicht das letzte sein.
Im letzten Herbst waren es zwei Kühe, im Sommer davor ein Kalb. Aber ich will mich nicht beschweren. Andere hat es schlimmer getroffen. Ein Bauer, zwei Stunden von hier, hat fast sein gesamtes Vieh verloren.«
»Und niemand weiß, woran die Tiere gestorben sind?«
fragte Tobias zweifelnd.
Diesmal zögerte Temser einen Moment. Nicht lange, aber doch lange genug, daß es Tobias auffiel; und er seinerseits spüren mußte, daß Tobias sein Zögern registrierte. Um so heftiger schüttelte er schließlich den Kopf. »Nein«, sagte er.
»Vielleicht eine Krankheit. Vielleicht auch verdorbenes Fut-ter - Ihr habt gesehen, in was sich das Korn verwandelt hat?«
Tobias überging die Frage. »Ich mache mir Vorwürfe«, sagte er. »Ich wollte, ich könnte Euch den Verlust ersetzen, aber für ein so wertvolles Tier reichen meine bescheidenen Mittel nicht.«
»Wieso Vorwürfe?« fragte Temser. »Es ist nicht Eure Schuld und -«
»Vielleicht doch«, unterbrach ihn Tobias. »Ich hatte versprochen, das Tier sofort zurückzubringen. Hätte ich es getan, wäre es jetzt noch am Leben.«
»Mit Verlaub, das habt Ihr nicht«, berichtigte ihn Temser lächelnd. »Aber ich bin sicher, Ihr hättet es getan, wenn es Euch möglich gewesen wäre.«
»Ich habe es sogar versucht«, sagte Tobias in beiläufigem Ton und ohne Temser anzusehen. Aber er hielt ihn scharf aus den Augenwinkeln im Blick, als er weitersprach. »Bresser wird Euch sicher erzählt haben, daß ich nicht auf dem Schloß übernachtet habe, sondern noch am Abend zurück-geritten bin.«
Temser nickte. Er sagte nichts.
»Nun, ich bin nicht auf direktem Weg nach Buchenfeld 297
zurückgekehrt«, fuhr Tobias fort, »sondern zuerst zu Eurem Hof geritten.«
Temser sah ihn fragend an. Er schwieg noch immer.
Tobias blickte ihm jetzt wieder offen ins Gesicht, aber er suchte vergeblich nach irgend einem anderen Ausdruck als Neugier in seinen Zügen.
»Es war niemand da«, fuhr er nach einer Weile fort. »Ich war . . . ein wenig verwirrt. Es war schon recht spät, und ich hatte
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