Wolfgang Hohlbein -
verlieren und aus dem Orden ausgeschlossen werden.
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Aber das spielte keine Rolle mehr. Katrin und er würden leben, alles andere war unwichtig.
»Sie sind fort«, sagte Katrin, nachdem sie zu ihm zurückgekehrt war. »Ich war am Waldrand. Nirgendwo regt sich etwas.«
»Sobald es hell geworden ist, werden sie merken, daß du geflohen bist. Und Temser wird mein Verschwinden noch früher entdecken. Ich habe ihm aufgetragen, mich dann zu wecken.«
Katrin überlegte einen Moment. »Es sind noch zwei Stunden bis Sonnenaufgang«, sagte sie. »Wir könnten es schaffen. Aber es wäre sicherer, bis zum Abend hierzubleiben.
Der Graf wird all seine Männer aussenden, um nach uns zu suchen, sobald er erfährt, daß ich geflohen bin.«
Tobias lächelte matt. Es waren nicht die Männer des Grafen, die er fürchtete, es waren auch nicht Bresser und das Volk von Buchenfeld. Und der Gedanke, einen ganzen Tag in diesem finsteren, stinkenden Loch unter der Erde zu verbringen, war ihm einfach unerträglich.
»Nein«, sagte er. »Wir müssen gehen. Je eher, desto besser.« Er sah Katrin eine Weile nachdenklich an. Sie hatte die Büsche nicht wieder vor den Eingang gezogen, so daß ein wenig graues Licht in die Höhle fiel und er ihre Gestalt als Silhouette erkennen konnte. »Wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?« fragte er. »In südlicher Richtung?«
»Den Fluß entlang?« Katrin wiegte den Kopf. »Einen halben Tagesmarsch. Warum?«
»Es wird eine Zeitlang dauern, bis sie wirklich begriffen haben, was passiert ist«, antwortete Tobias. »Sie werden uns zuerst in der Richtung suchen, aus der ich gekommen bin, im Norden. Wenn es uns gelingt, eine Stadt zu erreichen, dann sind wir in Sicherheit.«
»Unterschätze den Grafen nicht«, antwortete Katrin, aber Tobias unterbrach sie mit einer Handbewegung: »Ich bin noch immer Inquisitor, Katrin. Ganz gleich, was später geschieht, man wird mir glauben. Ich bin sicher, es gibt eine Menge Leute, die sich mehr für das interessieren, was in dieser Stadt vor sich geht, als für das, was ich getan habe.«
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Katrin widersprach nicht, sondern zuckte nach einer Weile nur mit den Achseln und kroch vor ihm dem Höhlenausgang zu.
Die Leichtigkeit, mit der sie den schmalen Schacht
erklomm, täuschte. Tobias rutschte drei- oder viermal, er hätte es wahrscheinlich gar nicht geschafft, hätte sich Katrin nicht herabgebeugt und ihm die Hände entgegengestreckt, um ihm zu helfen.
Als er sich durch das dornige Gestrüpp vor dem Eingang zwängte, zerkratzte er sich abermals Gesicht und Hände.
Ächzend richtete er sich auf, blickte sich um und sah schließ-
lich zu, wie Katrin den Eingang der Höhle sorgsam tarnte.
»Man weiß nie, ob man ein sicheres Versteck nicht doch noch einmal braucht«, antwortete sie auf seinen überraschten Blick.
Tobias zuckte mit den Schultern. »Es ist wirklich sicher«, sagte er. »Wie hast du es gefunden?«
Katrin lachte. »Ich bin hineingefallen«, gestand sie.
Tobias blieb ernst. Er blickte in die Richtung, aus der der unheimliche Schein des Sees gekommen war. Aber Mond und Sterne überschütteten das Land mit silbernem, blassem Licht, das den grün-blauen Schimmer beinahe auslöschte.
»Du warst oft hier, nicht wahr?« fragte er leise und ohne Katrin anzusehen.
»Früher - ja«, antwortete Katrin, »bevor alles begann.
Später wagte ich es nicht mehr. Der See ... er macht mir Angst, und außerdem sind sie oft hier.«
»Sie?«
Irgendwie schien Katrin zu spüren, daß er sich diesmal nicht mehr mit einer ausweichenden Antwort zufriedenge-ben würde. Sie blickte zwar noch eine Zeitlang an ihm vorbei ins Leere, aber schließlich seufzte sie, zwang sich zu einem Lächeln und sah ihn an. »Du hast gesehen, was sie tun«, sagte sie. »Bresser und die anderen. Sie gehören alle dazu, jeder einzelne, jeder Mann, jedes Kind, jede Frau.«
»Du meinst, ganz Buchenfeld verehrt den Teufel?«
Katrin schüttelte den Kopf. »Nicht den Teufel«, antwortete sie. »Der Teufel taugt, alte Weiber und Kinder zu erschrecken.«
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»Und dumme Priester wie mich«, fügte Tobias hinzu.
»Und dumme Priester wie dich«, bestätigte Katrin mit einem neuerlichen, spöttischen Lächeln. »Es ist kein Teufelskult. Es ist -« Sie verstummte mitten im Satz, auch Tobias fuhr erschrocken zusammen. Irgendwo hinter ihnen hatte sich etwas bewegt. Ein Schatten, der davonhuschte, aber er war nicht ganz sicher.
»Vielleicht nur ein Tier«, flüsterte Tobias.
Katrin antwortete
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