Wolfgang Hohlbein -
davonstürzte und spürte im gleichen Moment einen scharfen Luftzug, dem ein fürchterlicher Schlag gegen seine Schulter folgte.
Der Hieb schleuderte ihn zu Boden. Er schrie vor Schmerzen und Angst. Seine Schulter fühlte sich an, als wäre sie von einer Axt gespalten worden. Er spürte klebriges, warmes Blut über seinen Rücken und seinen Arm fließen. Wieder 357
sah er einen Schatten und riß den unverletzten Arm schützend vor sein Gesicht.
Die Bewegung rettete ihm das Leben. Das Schwert, das seine Schläfe verfehlt hatte und tief in seine Schulter gefahren war, schlug mit einem dumpfen Laut kaum einen Fingerbreit neben seinem Körper in den Boden und bohrte sich tief in die Brust der toten Frau in dem Erdloch. Tobias brüllte und trat blindlings um sich. Seine Füße trafen die riesige Gestalt mit dem bleich schimmernden Gesicht und ließen sie zurückstolpern. Das Schwert wurde dem Angreifer aus der Hand gerissen und blieb zitternd im Boden stecken, als versuche die tote Frau in der Erde, es festzuhalten, um sich so an ihrem Mörder zu rächen.
Der Angreifer knurrte wie ein wütendes Tier, während er haltlos zwei, drei Schritte zurückstolperte. Doch er tat Tobias keineswegs den Gefallen, zu stürzen und dem Mönch so die Zeit zu verschaffen, die er gebraucht hätte, sich aufzurichten und die Flucht zu ergreifen. Statt dessen stürzte die Gestalt wieder vor.
Tobias versuchte mit aller Willensanstrengung, nicht das Bewußtsein zu verlieren. Der Schmerz in seiner Schulter war unerträglich. Wogen aus Feuer pulsierten durch seinen Körper. Ihm wurde übel vor Schmerz, und seine rechte Hand begann zu zucken. Er hatte Mühe, den Angreifer überhaupt zu erkennen. Alles, was er sah, war ein riesenhafter, verzerrter Schatten mit einem Gesicht aus weißen Knochen, und gierig vorgestreckte Krallenhände, die dürren Klauen eines Skelettes.
Der Riese versuchte nicht, sein Schwert aus dem Boden zu ziehen, sondern trat nach ihm. Ein neuerlicher, greller Schmerz durchzuckte seine Rippen. Die Knochengrimasse zerbarst vor seinen Augen, die ganze Welt begann sich vor ihm zu drehen. In die Nacht mengten sich Schatten, die tiefer waren als die Dunkelheit; das Schwarz einer Ohnmacht, aus der er nicht mehr erwachen würde. Es ist soweit, dachte er. Er starb. Der Schöpfer würde ihn richten und ihn wie einen gefallenen Engel in die ewige Verdammnis stoßen.
Aber die niemals endende Dunkelheit, auf die er wartete, 358
kam nicht. Statt dessen taumelte der Riese plötzlich. Aus seinem zornigen Gebrüll wurde ein fast schmerzerfülltes Seufzen - dann machte er einen ungeschickten Schritt zurück und sank langsam in die Knie!
Hinter ihm war ein zweiter, kleinerer Schatten aufgetaucht. Tobias sah, wie Katrin die Arme in die Höhe riß und den armlangen Knüppel zu einem zweiten Schlag schwang.
Das Geräusch, mit dem er gegen den Hinterkopf des Knochengesichtigen prallte, ließ ihn bis ins Mark erschauern.
Für die Dauer eines Lidzuckens lag der Unheimliche reglos auf den Knien, die Hände erhoben, in einer grotesken flehenden Geste. Dann kippte er nach vorn und fiel über die Füße des Mönchs.
Katrin ließ ihren Knüppel fallen. Sie war mit einem einzigen Schritt bei ihm und zog entsetzt die Hände wieder zurück, als sie sah, was mit seiner Schulter geschehen war.
Ihre Augen weiteten sich. »Großer Gott!« stöhnte sie.
»Tobias!«
Tobias wimmerte vor Schmerz. Er wollte sich aufrichten, aber sein rechter Arm gehorchte ihm nicht mehr. Hilflos fiel er wieder zurück und prallte mit dem Kopf gegen eine stein-harte Wurzel.
Dieser neuerliche Schlag mußte ihm wohl endgültig das Bewußtsein geraubt haben, denn das nächste, was er spürte, waren Katrins Hände, die sich an seiner Schulter zu schaffen machten. Er versuchte, die Augen zu öffnen, nahm aber nur tanzende Schatten wahr, die von einem roten Spinnennetz aus Schmerz durchzogen wurden.
»Beweg dich nicht!« hörte er Katrins Stimme. Sie klang verzerrt, begleitet von unheimlichen Echos, als befänden sie sich tief unter der Erde in einem endlos langen, engen steinernen Schacht. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimme verweigerte ihm den Dienst. Die Wunde in seiner Schulter blutete noch immer; er konnte spüren, wie das Leben in schnellen, pulsierenden Stößen aus ihm herausrann. Unter der Qual, die wie eine faustgroße, brennende Spinne in seiner Schulter hockte, kroch etwas anderes heran; eine schwere, verlockende Schläfrigkeit, die ein düsteres
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