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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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Verspre-359
    chen auf Ruhe und endlosen Schlaf beinhaltete. Er wußte, daß er ihr nicht nachgeben durfte, aber gleichzeitig erschien ihm der Tod plötzlich wie eine Erlösung.
    »Du mußt wach bleiben, Tobias«, sagte Katrin, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Bitte, schlaf nicht ein. Aber du darfst dich nicht bewegen. Ich versuche, die Blutung zu stop-pen.«
    Er hätte sich nicht einmal bewegen können, wenn er es gewollt hätte. Sein Körper war gelähmt, so vollständig para-lysiert, als hätte er sich in Stein verwandelt; mit Ausnahme seiner rechten Hand, die noch immer zuckte und sich mit kleinen, krampfartigen Bewegungen in den Boden grub.
    Alles, was er zustande brachte, war die Andeutung eines Nickens.
    Wieder verlor er das Bewußtsein, doch diesmal packte Katrin seine Schulter und schüttelte ihn, daß er vor Schmerzen aufschrie.
    »Du sollst wach bleiben!« schrie sie ihn an.
    »Hörst du! Mach die Augen auf! Verdammt, Tobias, ich lasse nicht zu, daß du stirbst!«
    Tobias stöhnte. Katrin riß seinen Kopf herum und ohr-feigte ihn mehrmals, bis er schließlich die Augen öffnete und eine schwache Handbewegung machte, um ihre Hiebe abzu-wehren.
    Katrin atmete erleichtert auf, ließ endlich von ihm ab und berührte flüchtig seine Wange. Sie lächelte. »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber du darfst jetzt nicht aufgeben.«
    Tobias deutete mit den Augen ein Nicken an. Sie begriff, daß er verstanden hatte, lächelte ihm noch einmal zu und beugte sich schließlich wieder über seine Schulter. Tobias biß in Erwartung des kommenden Schmerzes die Zähne
    zusammen. Er fühlte, wie der Blutstrom, der aus der Wunde quoll, allmählich schwächer wurde, und gleichzeitig begann sich auch der dunkle Abgrund des ewigen Schlafes zu schlie-
    ßen, der ihn in seine Umarmung hatte herabziehen wollen.
    Er hatte zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage die Berührung des Todes gespürt. Und er war ihr zum zweiten Mal entronnen.
    360
    Nach einer Weile begann das Leben in seinen Körper
    zurückzukehren. Er spürte jeden einzelnen Schlag seines rasenden Herzens wie eine dumpfe, schmerzhafte Erschütterung. Aber es war eine andere Art der Pein, die er jetzt fühlte, kein Schmerz, der ihn in die Ohnmacht reißen wollte. Nach einer Weile fühlte er sich beinahe kräftig genug, sich aufzurichten, doch Katrin hielt ihn zurück.
    »Beweg dich nicht!« sagte sie warnend. »Die Wunde ist nicht sehr schlimm, aber sie kann wieder aufbrechen.« Sie lächelte flüchtig. »Laß uns ein wenig warten.«
    »Wir müssen . . . weiter«, flüsterte Tobias. »Keine . . .
    Zeit.«
    Katrin antwortete nicht, aber der Blick, mit dem sie ihn musterte, sprach Bände. Sie würden nirgendwo mehr hinge-hen. Seine Verwundung war zu schwer.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte Tobias.
    Katrin antwortete nicht. Sie preßte seine Hand gegen ihre Wange und schloß die Augen.
    »Ich habe alles verdorben«, flüsterte Tobias. Plötzlich füllten Tränen seine Augen, aber er schämte sich ihrer nicht.
    »Ich war ein solcher Narr, Katrin, aber ich wollte dir nur helfen. Ich -«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Katrin leise und legte einen Finger auf seinen Mund. Dann wandte sie sich um und beugte sich über die reglose Gestalt neben Tobias.
    Der Mann war tot.
    Die bleiche Knochengrimasse unter der schwarzen
    Kapuze hatte sich gelöst, und ein menschliches Antlitz war zum Vorschein gekommen. Es war blutüberströmt, mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Tobias war nicht überrascht.
    Tief in seinem Inneren hatte er gewußt, daß diese Knochen-wesen keine Dämonen waren, keine Toten, die aus ihren Gräbern herausstiegen, sondern leibhaftige Menschen.
    »Er gehört zu Theowulfs Leuten, nicht wahr?« fragte er leise.
    Katrin nickte. Sie lächelte, aber über ihr Gesicht rannen Tränen. Und als sie seine Wange berührte, spürte er, wie ihre Hände zitterten.
    361
    Tobias stellte keine Fragen mehr, und auch Katrin sagte nichts mehr, sondern setzte sich wieder neben ihn, hob behutsam seinen Kopf an und bettete ihn in ihren Schoß.
    So fanden sie Theowulf und die Abordnung der Buchenfelder, die eine Stunde später mit dem ersten Licht des neuen Tages über die Felder herangaloppiert kamen, um sie zurück in die Stadt zu bringen.

15
    Es mußten zehn Tage vergangen sein, als er das Licht der Sonne wieder sah. Tobias hatte die Mahlzeiten gezählt - es waren zwei am Tag -, zwei Tage hinzugerechnet, die er im Fieber gelegen hatte. Außer Maria, die ihm das Essen brachte und

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