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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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vorbeigehen und machte eine einladende Geste, als Tobias stehenbleiben wollte.
    Der Mönch blinzelte. Die ungewohnte Helligkeit trieb ihm die Tränen in die Augen. Er wischte sie mit dem Handrücken fort, sah sich suchend um und stellte mit einem leisen Gefühl der Überraschung fest, daß kein Wächter neben der Tür postiert war; Theowulf war allein gekommen, um ihn abzuholen. »Wohin bringt Ihr mich?« fragte er noch einmal.
    »Zu Eurem Richter«, antwortete Theowulf.
    Tobias sah ihn fragend an.
    »Euch wird der Prozeß gemacht«, antwortete Theowulf auf seinen Blick.
    »Prozeß? Von wem? Von Euch - oder von Bresser?«
    Wieder reagierte Theowulf mit einem ärgerlichen Stirn-364
    runzeln auf seinen spöttischen Tonfall. Aber auch diesmal blieb seine Stimme ruhig. »Von einem der Euren«, antwortete er.
    »Ihr habt . . .«
    »Ihr seid ein Mann der Kirche«, unterbrach ihn Theowulf.
    »Ihr untersteht nicht meiner Gerechtigkeit. Ich habe kein Recht, über Euch zu urteilen. Das sollen andere tun.«
    Tobias war verwirrt. »Was . . . soll das heißen?« fragte er mißtrauisch.
    »Könnt Ihr Euch das nicht denken?« fragte Theowulf
    plötzlich ungeduldig. »Ich weiß nicht, mit welchem Zauber die Hexe Eure Sinne verwirrt hat, Tobias, aber so viel dürfte selbst Euch klar sein, daß ein Mann Eurer Stellung, der einer Hexe zur Flucht verhilft und dabei einen unschuldigen Bauern tötet, keine Gnade zu erwarten hat. Nicht von mir und schon gar nicht von Euren Brüdern.«
    Tobias begriff immer noch nicht. »Ihr habt . . .?«
    »Ihr seid nicht der einzige Inquisitor auf der Welt, Pater Tobias«, unterbrach ihn Theowulf spöttisch. »Tätet Ihr mir nicht so leid, Ihr armer Narr, dann fände ich die Situation wahrscheinlich sogar amüsant: ein Inquisitor, der sich vor der Inquisition zu verantworten hat.«
    »Ihr habt einen . . . einen Inquisitor gerufen?« fragte Tobias ungläubig.
    »Uns blieb kein anderer Ausweg«, antwortete Theowulf.
    Tobias starrte ihn fassungslos an. »Ihr . . . Ihr müßt wahnsinnig sein!« keuchte er. »Ihr wagt es, nach allem, was hier geschehen ist, Euch an die Kirche um Hilfe zu wenden?«
    »Wäre es Euch lieber, ich hätte Euch auf der Stelle verbrennen lassen?« fragte Theowulf kalt. »Niemand hätte mir einen Vorwurf gemacht. Auch wenn Ihr es mir wahrscheinlich nicht glaubt, Tobias - ich mag Euch. Ich glaube, daß Ihr ein intelligenter Mann seid. Und ich glaube, daß Ihr im Grunde nicht für das verantwortlich seid, was geschehen ist.
    Die Hexe hat Euch verzaubert.«
    »Ihr seid ja wahnsinnig!« stammelte Tobias. »Glaubt Ihr denn, ich würde nicht alles erzählen?«
    Theowulf nickte. »Selbstverständlich werdet Ihr das«, 365
    antwortete er. »Aber wer wird Euch schon glauben? Davon abgesehen gibt es nicht viel, was Ihr erzählen könntet - wir hatten wahrlich Zeit genug, uns vorzubereiten.«
    Tobias starrte ihn an. Er begriff, daß Theowulf noch immer sein grausames Spiel mit ihm spielte. Er belog ihn nicht. Er sagte ihm ganz offen die Wahrheit, um ihn zu verhöhnen und ihm seine eigene Machtlosigkeit vor Augen zu führen. Und Theowulf hatte recht. Niemand würde ihm glauben, nicht, nachdem er versucht hatte, mit Katrin zu fliehen.
    »Kommt«, sagte Theowulf. »Laßt uns gehen. Wir werden erwartet.«
    Tobias gehorchte, aber er konnte nicht verhindern, daß seine Schritte immer langsamer und schleppender wurden.
    Seine Hände begannen leicht zu zittern. Er spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach und sich ein flaues Gefühl in seinem Magen ausbreitete. Jeder Schritt kostete ihn eine ungeheure Überwindung, und doch verspürte er keine Angst; er fühlte eigentlich überhaupt nichts, nur eine tiefe, allumfas-sende Leere, in der jedes Gefühl verschwand.
    Als sie die Treppe erreichten und er langsam vor Theowulf her die steilen, hölzernen Stufen hinabzusteigen begann, sah er, daß sich der große, düstere Kaminsaal verändert hatte.
    Man hatte Tische und Stühle herangeschafft. Neben der Tür erkannte er zwei Männer mit blitzenden Helmen und Spee-ren. Bewaffnete, Söldner, vielleicht auch Soldaten, die den zweiten Inquisitor, von dem Theowulf gesprochen hatte, begleiteten. An der langen Tafel vor dem Kamin schließlich saßen drei Gestalten in dem Gewand seines Ordens. Zwei junge Mönche mit dunklem, vollem Haar, in dem die Tonsur wie eine weiße Narbe wirkte; der Mann in ihrer Mitte war alt, sein kahler Schädel glänzte im Licht.
    Als Tobias den Fuß der Treppe erreicht hatte, hob der

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