Wolfgang Hohlbein -
schimmernde Stahl gehörte nicht zu eine Sense, sondern war die Klinge eines beidseitig geschliffenen Schwertes, das ohne Scheide, nur von einer einfachen Schlaufe gehalten, am Gürtel des Mannes hing.
Der Mann - er stand im Schatten des Weges, so daß
Tobias sein Gesicht nicht erkennen konnte - musterte Bresser und ihn, und als Bresser sich ebenfalls umwandte, da fuhr auch er erschrocken zusammen; wenn auch aus einem völlig anderen Grund, wie Tobias im nächsten Moment begriff.
»Herr!« sagte er. Er deutete eine Verbeugung an, machte einen nervösen Schritt zurück und suchte einen Moment lang nach Worten.
»Herr?« Tobias sah ihn stirnrunzelnd an. War das -?
»Das . . . das ist der Graf, Vater«, sagte Bresser stockend.
»Graf Theowulf.«
»Und Ihr seid Pater Tobias, nehme ich an«, fügte die Gestalt im Schatten hinzu.
Pater Tobias nickte überrascht, trat dem Grafen einen Schritt entgegen und blieb wieder stehen, um einen Blick über den See zurück zu werfen. War es möglich, daß . . .
nein. Theowulf konnte unmöglich dort drüben gestanden, um den Kessel geschritten und dann unbemerkt hinter ihnen aufgetaucht sein - nicht in den wenigen Augenblicken, die vergangen waren.
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»Ich war nicht dort drüben«, sagte Theowulf in diesem Moment.
»Ihr habt -«
»- Eure Worte gehört, ja«, unterbrach ihn Theowulf. »Ich habe Euch nicht gelauscht, wenn Ihr das meint. Es war unbe-absichtigt.« Tobias hörte ein leises, nicht angenehm klingen-des Lachen. »Ihr seid nicht der erste, der dem finsteren Zauber dieses Ortes zum Opfer fällt, Pater. Viele sehen hier Dinge, die es nicht gibt. Ich glaube, es liegt an diesem See.
Vom Wasser steigen schlechte Dämpfe auf, die die Sinne verwirren. Laßt uns hier weggehen. Es gibt bessere Orte, um zu reden.«
Tobias widersprach nicht - was ihm im übrigen auch
wenig genutzt hätte, denn sowohl Theowulf als auch Bresser wandten sich rasch um und gingen den Weg zurück, ohne seine Antwort abzuwarten.
Tobias atmete hörbar auf, als sie den Wald verließen und wieder ins Sonnenlicht hinaustraten. Der Gestank war auch hier allgegenwärtig, aber längst nicht mehr so erstickend wie direkt am See, und er spürte erst jetzt, wie kühl es dort gewesen war. Er fror. Auf seinen Armen und seinem Rücken hatte sich eine Gänsehaut gebildet.
Fröstelnd rieb er sich die Oberarme mit den Händen, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Sonne empor, als fände er Trost in ihrem klaren, fast weißen Licht. Erst nach einer ganzen Weile senkte er den Blick wieder und sah zu Theowulf und Bresser hinüber, die ein paar Schritte wei-tergegangen waren und halblaut miteinander redeten. Genauer gesagt: Bresser redete, und Theowulf hörte zu, wobei er nur dann und wann einmal nickte, im übrigen aber Tobias nicht aus dem Auge ließ.
Graf Theowulf war ein sehr großer, massiger Mann, dessen gedrungener Körperbau und kräftige Hände ihn älter erscheinen ließen, als er war. Sein Gesicht war breitflächig, ohne fett zu wirken, und seine Wangen glatt rasiert, was Tobias ein wenig überraschte. Unter dem albernen weißen Hut, den er wohl zum Schutz vor der Sonne trug, lugte eine Strähne des schwärzesten Haares hervor, das Tobias jemals 101
zu Gesicht bekommen hatte. Seine Augen verbargen sich unter buschigen Brauen.
Es waren sehr wache Augen. Tobias wußte sofort, als er ihrem Blick begegnete, daß diesen Augen nichts entging und daß hinter ihnen ein überaus scharfer Geist lauerte.
Überhaupt entsprach der Graf nicht im mindesten dem Bild, das er sich von ihm gemacht hatte. Er war noch recht jung, keinen Tag älter als fünfundzwanzig, und er machte nicht den Eindruck eines selbstherrlichen Tyrannen, der das Land mit eiserner Hand beherrschte. Seine Kleidung war zweckmäßig, fast schon einfach; als einzigen Schmuck trug er einen schweren Siegelring mit einem verschlungenen Symbol aus Gold am Daumen seiner linken Hand.
»Zufrieden?« fragte Theowulf plötzlich.
Im ersten Moment war Tobias so überrascht, daß er gar nicht antwortete. Theowulf lachte leise, unterbrach Bressers Redefluß mit einer beiläufigen, aber befehlenden Geste und kam gemächlich herangeschlendert. »Seid Ihr zufrieden mit dem, was Ihr seht?« fragte er. »Ich nehme an, Ihr habt Euch eine bestimmte Meinung über mich gebildet, nach allem, was Ihr bisher erlebt und gesehen habt. Deckt sie sich mit dem, was Ihr nun seht?«
Tobias fuhr leicht zusammen, als ihm klar wurde, wie unverschämt er Theowulf
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