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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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nickte.
    »Dann war es doch kein Traum. Ich . . . ich habe dich gesehen, als du die Ketten gelöst und mich gewaschen hast.
    Aber ich dachte, es wäre nur eine Vision.«
    »Bresser hat die Ketten gelöst«, antwortete Tobias, »und seine Frau hat dich gewaschen. Aber ich war die ganze Zeit dabei.«
    Katrin ließ den Kopf wieder auf das Kissen zurücksinken und schloß die Augen, und für einen Moment befürchtete er, 111
    sie könne wieder eingeschlafen sein, so unvermittelt, wie es bei Schwerkranken manchmal geschieht. Aber dann redete sie weiter, und ihre Stimme war sogar überraschend klar:
    »Ich wußte nicht, daß du ins Kloster gegangen bist.«
    »Und ich nicht, daß du die Frau eines Apothekers geworden bist.« Dann trat wieder Stille ein. Für einen Moment war es, als seien sie die einzigen Menschen auf Gottes Erde, obwohl sie doch Geräusche von der Straße hörten, und einmal klang Bressers Stimme dumpf zu ihnen herauf.
    »Wie hast du mich gefunden?« fragte Katrin endlich.
    »Hat man dir gesagt, daß ich hier bin, oder hast du mich gehört?«
    »Gehört?«
    »Ich habe dich gerufen«, murmelte sie. »O mein Gott, wie oft habe ich an dich gedacht. Sie haben versucht, jede Erinnerung an dich auszulöschen, aber ich habe es nicht zugelassen. Ich habe dich nie vergessen.«
    Und plötzlich wußte er, warum etwas in ihm so heftig davor zurückschreckte, sich gehenzulassen, endlich all das zu sagen, was er sich in den endlosen Stunden in der vergangenen Nacht zurechtgelegt hatte. Er fühlte sich schäbig, weil er sie verlassen und aus seinem Gedächtnis verbannt hatte.
    »Ich dich auch nicht«, log er.
    »Ich wußte es«, flüsterte Katrin. »Du hast mich gehört, nicht? Es ist nicht wahr, daß man nur miteinander reden kann, wenn man sich gegenübersteht. Du hast gehört, wie ich nach dir gerufen habe.«
    »Nein«, sagte er leise.
    Katrin hob die Lider und drehte den Kopf. »Dann ist es ein Zufall, daß du hier bist?«
    Er senkte den Blick und sagte noch einmal: »Nein.«
    Einen Moment lang sah Katrin ihn verwirrt an - und
    dann erschien ein Ausdruck ungläubigen Begreifens in ihren Augen. Ihr Blick löste sich von seinem Gesicht und glitt über die einfache Kutte, die er trug.
    »Du?« flüsterte sie. »Du bist . . . der . . . der . . .«
    »Der Inquisitor, ja«, sagte Tobias. Er brachte es nicht fer-112
    tig, ihr bei diesen Worten ins Gesicht zu sehen. »Der Abt des Dominikanerklosters in Lübeck erhielt einen Brief, in dem Anklage gegen eine Hexe hier in Buchenfeld erhoben wurde.
    Mich wählte er aus, den Vorwürfen nachzugehen.« Seine Kehle schmerzte bei diesen Worten, als wären sie kleine scharfkantige Waffen, die blutige Wunden hinterließen.
    Seine Hände zitterten. O mein Gott, dachte er, warum hast du mich hierher geführt?
    Abermals blickte ihn Katrin für endlose Momente fassungslos an - und dann begann sie zu lachen; ein hohles, seltsam schrilles Lachen, das in einen Hustenanfall überging.
    »Was erheitert dich daran?« fragte er.
    »O Tobias, begreifst du nicht, welchen Scherz sich das Schicksal da mit uns erlaubt? Wir sehen uns wieder, und du rettest immer das Leben - und dabei haben sie dich
    geschickt, um mich auf den Scheiterhaufen zu bringen.«
    »Deshalb wurde ich nicht geschickt«, antwortete er.
    »Sie sagen, ich bin eine Hexe«, erwiderte sie hart. »Und die Inquisition verbrennt Hexen, oder?«
    »Wenn sie welche sind, ja«, antwortete er widerwillig.
    Einen Herzschlag lang sah sie ihn mit undeutbarem Ausdruck an, aber dann nickte sie und deutete wieder auf den Krug. »Gibst du mir noch etwas Wasser?«
    Tobias erfüllte ihre Bitte. Katrin leerte auch diesmal den ganzen Becher, aber sie trank sehr viel langsamer, und danach kehrte für eine geraume Zeit wieder Stille zwischen ihnen ein. Draußen verblaßte das letzte Tageslicht, und Tobias entzündete die Kerze, die Maria vorsorglich auf das Fensterbrett gelegt hatte. Sie flackerte und füllte den Raum mit warmen Licht.
    »Wie fühlst du dich?« fragte Tobias.
    »Nicht gut«, antwortete Katrin. »Aber auch nicht so schlimm wie gestern. Ich war tot, als du mich aus dem Kerker geholt hast.«
    Für einen Moment blitzte ein Bild vor Tobias' innerem Auge auf: ein weißes Knochengesicht unter einer dunklen Kapuze, halb verborgen zwischen dornigem Gestrüpp.
    »Fast«, sagte er leise.
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    »Fast. Aber wärst du eine Stunde später gekommen . . .«
    Oder hätte er sich hingelegt, um zu schlafen, wie Bresser vorgeschlagen hatte . . . »Ich bin es

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