Wolfgang Hohlbein -
aber nicht«, sagte er.
»Du hast mich gehört«, sagte Katrin plötzlich. »Das war kein Zufall, Tobias. Nach all der Zeit bist du genau im richtigen Moment gekommen. Wie lange ist es her? Fünfzehn Jahre?«
»Siebzehn.«
»Siebzehn Jahre.« Katrin seufzte. »Ein halbes Menschenleben.« Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Hattest du viele Frauen nach mir?«
Die Worte trafen ihn wie ein Messerstich. Auch diese Wunde war noch lange nicht verheilt, obwohl er sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr gespürt hatte.
»Nein«, sagte er einfach.
Katrin lächelte und betrachtete wieder seine Kutte.
»Natürlich, du hast Keuschheit gelobt. Ein Mönch entsagt der fleischlichen Lust.«
Ja, er war nach Lübeck ins Kloster gegangen, fast unmittelbar nach jenem furchtbaren Abend, aber er war jung gewesen, und seine Tage mit Katrin hatten ihm gezeigt, daß es einen Bereich des Lebens gab, der durchaus seine Vorzüge hatte - ganz gleich, was die strengen Männer in den grauen Kutten sagten, die ihn erzogen. Er war kei.> Heiliger<. Es war keineswegs so gewesen, daß er keine Frauen gewollt hatte.
Er hatte es nicht gekonnt. Das Gelübde abzulegen und einzuhalten war ihm daher sehr leichtgefallen.
Katrin sah ihn mitfühlend an. »Was haben sie mit dir gemacht?«
»Gemacht?« Tobias lächelte bitter. »Nichts. Es ging nicht mehr. Nach diesem Abend . . .« Er zögerte, schluckte den bitteren Kloß herunter, der plötzlich in seiner Kehle saß, und versuchte zu lachen, brachte aber nur einen krächzenden Laut zustande.
»Unser letzter Abend?«
»Wenn du ihn so nennen willst . . . meine erste Frau und mein erster Toter - beide in der gleichen Stunde.«
Unten im Haus fiel eine Tür zu, und bald darauf hörte er 114
Stimmen und schwere Schritte, die die Treppe hinaufpolter-ten.
»Das wird der Arzt sein«, sagte er und stand auf.
Katrin hob erschrocken die Hand. »Laß mich nicht
allein!« sagte sie.
»Das tue ich nicht«, antwortete Tobias. »Ich komme
zurück, sobald er fertig ist. Wenn du willst, warte ich vor der Tür. Dir wird nichts geschehen.« Ohne daß er es selbst so recht merkte, verfiel er ihr gegenüber in jenen Ton, den er Schwerkranken gegenüber immer anzuschlagen pflegte.
Sie widersprach auch nicht, sondern sah ihn nur mit großen verschreckten Augen an.
Tobias trat noch einmal an ihr Bett, beugte sich vor, ergriff ihre Hand - und küßte sie auf den Mund.
Für einen Moment war er kein Mensch mehr, befand sich auch nicht in einer schäbigen Kammer, sondern er war jung, Vögel sangen, irgendwo zwischen den Bäumen ging die Sonne unter, und vor ihm lag ein schönes Mädchen, die junge Katrin. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr langes Haar war wie ein Schleier, und der Kuß, den sie ihm schenkte, war unendlich süß und verlockend.
Tobias träumte, doch dann sprang die Tür auf, und er begriff entsetzt, was er da tat.
Mit einem Ruck richtete er sich auf, schlug erschrocken die linke Hand gegen die Lippen, hatte aber gerade noch genug Geistesgegenwart, mit der anderen das Kreuzzeichen auf Katrins Stirn zu machen. Was hatte er getan? Was geschah mit ihm?!
Trotz des Orkans, der hinter seiner Stirn tobte, hatte er sich in der Gewalt, als er sich zu Bresser und dem Arzt umdrehte, die das Zimmer betreten hatten. Der dicke Bresser starrte ihn verwirrt an, aber er konnte nichts bemerkt haben. Tobias hatte schließlich mit dem Rücken zur Tür gestanden. Ohne ihn noch eines weiteres Blickes zu würdigen, wandte sich Tobias dem Arzt zu.
Er war ein großer, dunkelhaariger Mann mit der Statur und den Händen eines Schmiedes. Seine Gesichtszüge war grob, aber er hatte wache Augen, deren sanfter Blick nicht 115
zu seiner übrigen Erscheinung passen wollte. Seine Kleidung war voller Staub und Schmutz, und unter den Armen klebten große Schweißflecke. Er verlor kein überflüssiges Wort, sondern begrüßte Tobias nur mit einem knappen Nicken und erkundigte sich dann nach dem Befinden der Kranken.
Als Tobias antwortete, verfinsterte sich sein Blick. Doch er sagte auch jetzt nichts, sondern nahm nur auf dem Schemel neben dem Bett Platz und bat Tobias und Bresser, das Zimmer zu verlassen und ihm Maria zu schicken.
Bresser entfernte sich hastig und begann schon auf der Treppe nach seiner Frau zu schreien, während Tobias einen Moment lang unschlüssig vor der Tür stehenblieb. Immerhin hatte er Katrin versprochen, hier zu wachen. Aber sie war bei dem Arzt in guten Händen. Er war ein ehrlicher Mann.
Tobias
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