Wolfgang Hohlbein -
gewesen war. Sein ruhiges, trotz seines schwierigen Amtes im Grunde beschauliches Leben war völlig in Unordnung geraten.
»Du hast recht«, sagt er schließlich.
»Ich werde niemandem etwas verraten«, erwiderte Maria leise. »Aber Ihr müßt Euch vorsehen. Mein Gatte hat Verdacht geschöpft, und er rennt mit allem, was er zu wissen glaubt, sofort zum Grafen. Ihr habt Theowulf kennengelernt. Er ist ein gefährlicher Mann.«
»Ich habe keine Angst«, sagte Tobias.
»Das weiß ich«, antwortete Maria. »Und das ist es, was mir Angst macht. Ihr dürft den Grafen niemals unterschätzen, Pater Tobias. Ein Menschenleben gilt ihm nichts. Er wird nicht tatenlos zusehen, wie Ihr ihm alles verderbt.«
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»Alles verderbt?« wiederholte Tobias. »Was meint Ihr damit?«
Hastig wandte Maria sich um. Auf der Treppe wurden
wieder Schritte laut.
»Später«, flüsterte sie. »Wir reden später weiter. Heute nacht - wenn mein Mann schläft. Nur eins noch: Wenn Ihr wissen wollt, was an der Geschichte von der Hexe Wahres ist, dann fragt nicht die, zu denen Bresser Euch bringt, sondern geht zu Derwalt und seinem Bruder.«
Und damit trat sie hastig einen Schritt zurück, öffnete die Tür und fügte sehr viel lauter und in verändertem Tonfall hinzu: ». . . wie Ihr wollt, Pater Tobias. Ihr könnt es Euch ja noch überlegen.«
Bresser betrat den Raum und sah ein wenig verärgert aus, als er Tobias und Maria beisammen erblickte.
»Ich habe Pater Tobias vorgeschlagen, ihm für diese Nacht unsere Schlafkammer zu überlassen«, sagte Maria. »Wir beide können abwechselnd bei der Kranken wachen. Aber er wollte nicht.«
Tobias unterdrückte ein Lächeln. Maria war nicht nur ungleich mutiger als ihr Mann - sie war auch entschieden klüger.
»Das war . . . eine gute Idee«, erwiderte Bresser, stockend und in einem Tonfall, der ganz entschieden das Gegenteil behauptete. »Ihr müßt zu Tode erschöpft sein.«
»Das bin ich«, bekannte Tobias. »Aber ich muß endlich die Pflichten meines Amtes erfüllen. Beginnen wir mit den Untersuchungen.«
Seine Worte brachten Bresser sichtlich in Verlegenheit. »Es ist bereits dunkel«, sagte er. »Die Leute hier gehen früh schlafen. Es wäre besser, ich würde Euch morgen bei Tagesanbruch herumführen.«
»Oh, ich möchte nicht herumgeführt werden«, antwortete Tobias. »Es ist mir lieber, ich mache mir selbst ein Bild. Laßt mich einfach ein wenig mit den Leuten reden.«
»Wie Ihr wünscht«, antwortete Bresser enttäuscht. »Aber das wird Zeit beanspruchen.«
»Ich habe Zeit genug.«
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»Heute ist Freitag«, sagte Bresser. »Der Graf hat mir aufgetragen, die Verhandlung für Sonntag anzu -«
»Was für eine Verhandlung?« unterbrach ihn Tobias kalt.
»Der Prozeß gegen die Hexe«, antwortete Bresser mit ehrlicher Überraschung. »Ihr sagtet doch selbst, daß Ihr auf einem ordnungsgemäßen Prozeß besteht.«
»Das stimmt«, sagte Tobias. »Wenn ich zu dem Schluß komme, daß es einen Prozeß geben wird.« Er maß Bresser mit einem verächtlichen Blick und gab sich sogar Mühe, seiner Stimme jenen überheblichen Klang zu verleihen, den er sonst selbst so sehr haßte.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, hier das eine oder andere klarzustellen, Bresser«, sagte er. »Ich weiß ja nicht, welche Rolle Ihr hier in der Stadt spielt, aber mir scheint, Euer Herr hat keine sehr glückliche Hand damit bewiesen, Euch hier seine Macht zu übertragen. Es gibt gewisse Formalien, an die selbst ich mich zu halten habe. Und die besagen nun einmal, daß ich mich zuerst davon zu überzeugen habe, daß es sich bei diesen Anschuldigungen nicht nur um reine Hirngespinste oder einen Racheakt handelt, und danach entscheide ich, ob es einen Prozeß gibt. Darüber hinaus habt Ihr ja selbst dafür gesorgt, daß Eure Gefangene im Moment gar nicht in der Lage ist, in einem Prozeß auszusagen.«
»Da habt Ihr recht.«
Ohne daß Tobias oder Bresser es bemerkt hatten, war der Arzt ins Zimmer getreten. Er wirkte erschöpft. Auf seinem Hemd prangten einige frische Flecke, und in seinen Augen stand ein Ausdruck tief empfundenen Grolls.
»Es grenzt an ein Wunder, daß sie noch lebt. Wer hat sich um sie gekümmert? Ihr, Pater?«
Tobias nickte. »Ich hoffe, ich habe nichts verdorben«, sagte er. »Ich habe ein wenig Erfahrung im Umgang mit Kranken, aber -«
»Ganz im Gegenteil«, unterbrach ihn der Arzt. Er ging zum Tisch, setzte sich und stützte sich schwer mit den Unter-armen auf der Platte auf. »Ich würde
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