Wolfgang Hohlbein -
gewöhnlich hätte Tobias auch anders reagiert, hätte zumindest sanft getadelt und ihnen nahegelegt, den Stand der Ehe nicht zu mißachten und der Sünde zu entgehen, aber vielleicht hatte ihn sein Erlebnis mit Katrin so verwirrt, daß er lieber schwieg.
Derwalt zögerte noch einen Moment, aber als er sprach, klang seine Stimme nicht mehr ganz so widerwillig wie zuvor. »Nicht viel, Herr«, sagte er. »Sie ist eine Hexe, nicht wahr? Was soll man über eine Hexe erzählen?«
»Habt Ihr jemals gesehen, wie sie gezaubert hat?« fragte Tobias. »Oder irgend etwas anderes getan, was Euch zu dieser Überzeugung bringt?«
Derwalt schüttelte den Kopf. »Ich nicht«, antwortete er.
»Aber andere. Und das Unglück begann erst, als sie in die Stadt gekommen ist.«
»Welches Unglück?« fragte Tobias.
»Nun . . . alles eben«, antwortete Derwalt verstört. Sein Blick flackerte. »Die Ernten wurden schlechter. Mehrere Menschen in der Stadt starben, und viele wurden krank.
Und dann der See im Wald. Er -«
»Ich habe gesehen, was mit ihm passiert ist«, unterbrach ihn Tobias. Er seufzte. So kam er nicht weiter. Was er jetzt von Derwalt hörte, das würde er in den nächsten Tagen noch zahllose Male zu hören bekommen. Er kannte das: Niemand hatte selbst etwas gesehen, aber jeder von einem gehört, der etwas gesehen oder erlebt hatte. Und es gab immer ein Unglück, das sich anbot, als Hexerei dargestellt zu werden.
»Erzählt mir einfach, wie es begann«, sagte er. »Verkolt brachte sie eines Tages von einer Reise mit?«
Derwalt nickte. »Ja. Es ist vier oder fünf Jahre her. Es war kurz nach Pargis' Tod . . .«
»Pargis?«
»Der Arzt«, sagte Derwalt. »Wir hatten einen Arzt hier.
Aber er starb, und eine Weile gab es nur Verkolt. Er war der Apotheker hier - aber das wißt Ihr ja sicher bereits. Er war alt, und man sagt, er fuhr in die Stadt, um sich einen Nachfolger zu suchen - oder einen Gehilfen.«
»Und statt dessen kam er mit einer Frau zurück.«
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»Ja.« Derwalts Finger begannen mit der Kerze zu spielen, ohne daß er es selbst merkte, und das Licht flackerte. »Sie war sehr schön«, fuhr er fort. »Sie war eine gute Frau. Verkolt blühte auf, als sie bei ihm war. Und sie war ihm wirklich eine Hilfe. Sie verstand so viel von seinen Medikamen-ten wie er selbst. Und sie half vielen hier.«
»Dazu ist ein Apotheker schließlich da, oder?«
»Aber nicht umsonst«, sagte Derwalt. »Gesundheit ist etwas für die Reichen. Die Leute hier sind nicht reich, Herr.
Kaum einer, der immer genug zu essen hatte - wo soll er da Geld für Medizin hernehmen? Verkolt hat oft die Hilfe verweigert, wenn die Familie des Kranken das Geld für seine Medizin nicht aufbringen konnte.«
»Und Katrin nicht?«
»Nicht immer«, sagte Derwalt. »Nur, wenn Verkolt es merkte; und selbst dann nicht jedes Mal. Sie hatten oft Streit miteinander, weil sie Kindern und Armen umsonst Medizin gegeben hat. Und oft genug hat sie sie heimlich behandelt, ohne daß er es gemerkt hat. Sie war eine wirklich gute Seele.
Kaum einer in Buchenfeld, der sie nicht liebte und dem sie noch nicht geholfen hätte.«
»Das klingt nicht nach einer Hexe«, sagte Tobias.
Derwalt sah ihn an und schwieg. Sein Blick wich Tobias aus.
»Warum erzählst du ihm nicht alles?« fragte die junge Frau auf dem Bett. »Erzähl ihm auch den Rest der Geschichte.«
»Welchen Rest?«
Derwalt biß sich auf die Unterlippe und schwieg weiter, und die Frau sagte: »Sie hat ihm das Leben gerettet, im letzten Jahr. Und sie hat ihr eigenes dabei aufs Spiel gesetzt.«
»Stimmt das?« fragte Tobias.
Derwalt nickte widerwillig. »Es war ein Unfall«, sagte er.
»Ich war . . . draußen im Wald. An dem See, den sie den Pfuhl nennen. Damals war es noch nicht ganz so schlimm wie heute, aber schlimm genug. Ich ... ich bin Zimmermann, müßt Ihr wissen. Aber im Winter gibt es nicht immer Arbeit für mich. Dann schnitze ich Becher und Holzlöffel.
Ich war . . . auf der Suche nach Holz. Es gibt sehr schöne 131
Wurzeln unten am See. Aber ich war unaufmerksam. Ich glitt auf einem Stein aus und stürzte ins Wasser.«
»Und?« fragte Tobias, als Derwalt keine Anstalten machte, von sich aus weiterzureden.
»Ich kann nicht schwimmen«, gestand Derwalt. »Und
wenn Ihr am See wart, dann wißt Ihr, wie steil seine Wände sind. Ich fand nirgends Halt, und ich wäre unweigerlich ertrunken, wenn Katrin nicht gekommen wäre. Sie sprang ins Wasser und fischte mich heraus.«
»Und starb fast
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